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Petitionsausschuß empfiehlt das BGE nicht im Bundestag zu debattieren

29. Juli 2013 20:10

© Dan Pupius CC: BY-NC-SA
© Foto: Dan Pupius CC: BY-NC-SA via flickr 
Der Petitionsausschuß hat der Petentin Susanne Wiest seine Beschlußempfehlung zukommen lassen, das Petitionsverfahren ohne Debatte im Bundestag zu beenden. Es erklärt, daß sich der Bundestag mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht mehr weiter zu befassen braucht, da ja alles so wie es jetzt ist, viel besser ist. Auf die gesellschaftliche Diskussion um ein BGE wird wenig eingegangen, stattdessen werden alle bekannten Vorbehalte wiederholt.

Susanne hat dieses Schreiben mit einer Erklärung an den Ausschuß zurück geschickt.

Zu BGE und zu Hartz IV habe ich schon viel geschrieben, so daß in diesem Post kaum neue Gedanken zu lesen sein werden. Da ich mich aber entschlossen habe, ebenfalls an den Petitionsausschuß zu schreiben, gebe ich dieses Schreiben hier wieder. Wer mit der Beschlußempfehlung des Ausschusses ebenso unzufrieden ist, möge das Gleiche tun.

Berlin, der 28.07.2013

An den
Petitionsausschuß des Bundestages
Frau Kerstin Steinke, MbB
Platz der Republik 1
11011 Berlin


Betrifft: Pet 3-16-11-8200-044555



Sehr geehrte Frau Steinke,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich schließe mich Frau Susanne Wiest an, welche Ihnen die Beschlußempfehlung zur Petition 3-16-11-8200-044555 mit einer persönlichen Stellungnahme zurück geschickt hat. Auch ich weise die Begründung zur Einstellung des Petitionsverfahrens als nicht angemessen zurück und verlange eine bessere Auseinandersetzung mit dem Thema des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE).



Zu Ihrer Begründung nehme ich wie folgt Stellung, indem ich Stichworte daraus in der Reihenfolge des Auftretens aufgreife:

Wenn Sie eine Vereinfachung des Steuersystemes, die in den meisten BGE-Modellen mitgedacht wird, als falsch ablehnen, möchte ich Sie an den Vorschlag jener sogenannten Bierdeckelsteuer von Friedrich Merz aus dem Jahre 2003 erinnern, mit dem sich die CDU als Oppositionspartei ein fortschrittliches Image zu geben versuchte. Zwar hat damals niemand ernsthaft an eine derartige Steuervereinfachung geglaubt, trotzdem hatte dies bei vielen Menschen Hoffnungen geweckt, es könnte tatsächlich einmal in eine vernünftigere Richtung voran gehen.

Sie betonen immer wieder den notwendigen Arbeitsanreiz, der durch ein bedingungslos ausgezahltes Grundeinkommen zunichte gemacht würde. An sich verspricht das Wort Anreiz etwas Positives. Doch handelt es sich überhaupt um einen Anreiz, wenn man aus purer Not dazu gezwungen ist, eine Arbeit sogar für schlechte Bezahlung anzunehmen? Paßt da das Wort - Sie entschuldigen - Erpressung nicht viel besser? Ist der Einwand, dann würde keiner mehr die Drecksarbeiten machen, nicht viel ehrlicher? Wäre es nicht ein echter Anreiz, wenn gerade unbeliebte und schmutzige Arbeiten besonders gut bezahlt würden? Welchen Ansturm gäbe es dann auf solche Arbeiten?

Sie bezweifeln die Finanzierbarkeit eines BGE. Haben Sie jedoch schon einmal nach der Effizienz von Arbeitslosengeld II und Beschäftigungsmaßnahmen inklusive Trägergesellschaften gefragt? Ich behaupte, daß man mit dem, was die Gesellschaft für das Hartz IV System an Kosten aufbringen muß, mindestens vier mal so vielen Menschen den derzeitigen Regelsatz gewähren könnte, würde man dieses Geld direkt auszahlen. Anstatt die verschiedenen Finanzierungsmodelle eines bedingungslosen Grundeinkommens zu diskutieren, erklären Sie dessen Nichtfinanzierbarkeit.

Sie verweisen darauf, daß die Empänger von Arbeitslosengeld II jede zumutbare Arbeit annehmen müssen und daß nur jenen die aus den verschiedensten Gründen nicht arbeiten können das soziokulturelle Existenzminimum gewährt wird. Sie verschweigen, daß mit diesem Arbeitszwang in Wirklichkeit Lohndumping betrieben wird, wodurch die Massenkaufkraft immer weiter geschmälert wird, was langfristig keiner Ökonomie bekommt.

Die bestehende Grundsicherung sehen Sie nur als letzte Stufe der sozialen Absicherung an. Damit versuchen Sie bis zu 8 Millionen Bundesbürger zur Ausnahme zu erklären und verschließen Ihre Augen vor einem gesellschaftlichen Problem, das Sie nicht lösen können. Stattdessen halten Sie an der Vollbeschäftigung fest, obwohl in den Betrieben seit Jahrzehnten der Kostenfaktor Mensch immer mehr vermieden wird und manuelle Arbeiten in Billiglohnländer ausgelagert werden.

Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens leiten Sie von Milton Friedmans negativer Einkommensteuer ab. Sie können aber noch weiter zurück gehen. Bereits 1797 hatte der England-Amerikaner Thomas Paine die Idee, das unfreiwillige Lotteriespiel der armen oder reichen Geburt ein wenig abzumildern. Friedmanns negative Einkommenssteuer würde jedoch das von Ihnen befürchtete Gerechtigkeitsproblem lösen, daß man das bedingungslose Grundeinkommen auch an Menschen auszahlen müßte, die es gar nicht benötigen. Diese Idee ist viel charmanter, einfacher und praktikabler als unser überaus kompliziertes Sozialsystem, das Sie beschönigend als differenziert und auf die Vielzahl möglicher Leistungsfälle zugeschnitten bezeichnen.

Gehen Sie wirklich davon aus, daß sich zu viele Menschen mit dem Grundeinkommen begnügen würden? Ich denke eher, bezahlte Jobs für den Zuverdienst wären genau so knapp, wie dies heute Erwerbsjobs zum Lebensunterhalt sind. Trotzdem stünden die Menschen besser da und Arbeit würde allgemein mit mehr Engagement und gewissenhafter erledigt werden, weil man sie freiwillig macht. Weil niemand nur des Überlebens Willen jegliche Arbeit annehmen müßte.

Das Problem der Rentenansprüche aus der Zeit vor dem BGE wäre ein vorübergehendes und eventuell sogar verhandelbares Umstellungsproblem und auch unter einem BGE wird jedem freistehen, eine private Versicherung für ein über das BGE hinaus gehendes Alterseinkommen abzuschließen. Auch das ginge natürlich nur durch Zuverdienst. Niemand würde jedoch im Alter zu wenig zum Leben haben und womöglich aus Scham auf Sozialleistungen verzichten.

Erwerbsarbeit ist für Sie ursächlich für den erwirtschafteten Reichtum. Abgesehen davon, ob der Reichtum in den westlichen Gesellschaften überhaupt noch erwirtschaftet wird oder nicht durch reine nicht auf Produktion beruhende rechnerische Finanzgeschäfte zustande kommt, darf man Ihre Annahme in Frage stellen. Sie suggerieren, daß derjenige der arbeitet und zum gesellschaftlichen Reichtum beiträgt, immer etwas für seine Arbeit bekommt. Beispielsweise die Arbeit, Kinder groß zu ziehen, die vor allem von Frauen geleistet wird, zählt nicht zur Erwerbsarbeit und wird auch nicht annähernd gewürdigt, obwohl sie Wesentliches zu unserer Gesellschaft beiträgt. Auch hier würde das BGE für mehr Gerechtigkeit sorgen und mehr Menschen könnten sich ehrenamtlich für Dinge engagieren, die notwendig sind, sich aber ökonomisch nicht rechnen. Zur Zeit muß man es sich leisten können, ein Ehrenamt auszuüben. Was aber am stärksten gegen ihre Annahme spricht, ist die Verteilung des über die Jahre tatsächlich gestiegenen Reichtums. Die oberen wohlhabenden 10 Prozent der Bevölkerung besitzen gut 50 Prozent des gesellschaftlichen Reichtums, während sich die unteren 50 Prozent ein Prozent Reichtum teilen dürfen. Kann man die Arbeit der unteren 50 Prozent überhaupt noch Erwerbsarbeit nennen, wenn sie durch ihre Arbeit so wenig erwerben? Falls Sie nur den offiziellen, geschönten Reichtumsbericht zur Hand haben, können Sie diese Zahlen in der Süddeutschen Zeitung vom 19. September 2012 nachlesen.

Sie gehen auch davon aus, daß mit dem BGE automatisch die Wirtschaftskraft sinkt weil niemand mehr arbeiten würde. Das BGE würde aber eher Menschen wieder zurück in die Gesellschaft bringen und manchem die Selbständigkeit ermöglichen. Vermutlich sind Ihnen große internationale Firmen lieber als viele kleine Betriebe vor Ort. Die großen Konzerne werden aber jene die jetzt arbeitslos sind nicht mehr einstellen. Wie schon angedeutet, würde ein BGE ehrenamtliche Tätigkeiten aller Art ermöglichen und auch zu mehr kulturellem und zwischenmenschlichem Reichtum führen. Globale Ökonomie ist nicht die einzige Option, wie viele Experimente mit parallelen Lokalwährungen zeigen.

Natürlich müßten gesetzliche Rahmenbedingungen zur Aufrechterhaltung fairer Spielregeln geschaffen werden. Politik müßte wieder gestalten anstatt zu reagieren oder nur einseitige Interessen durchzusetzen. Das BGE wäre der erste Schritt, vom neoliberalen Modell wieder weg zu kommen und den ursprünglichen Sinn allen Tuns über den Profit zu stellen, der im Übrigen durchaus legitim ist, aber nicht Selbstzweck auf Kosten der Allgemeinheit sein darf.

Was mich wirklich wütend macht ist, daß Sie behaupten, mit dem BGE würden Löhne subventioniert, sofern es nicht zum Leben reicht. Was für einer seltsamen, die Tatsachen verdrehenden Hilfskonstruktion bedienen Sie sich hier? Wir fordern ein bedarfsdeckendes Grundeinkommen und Löhne werden in der Tat durch Hartz IV subventioniert, da es in Deutschland keinen Mindestlohn gibt, so daß nicht wenige Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können und aufstocken müssen.

Unter einem BGE wäre ein Mindestlohn weder erforderlich noch sinnvoll. Im Augenblick könnte man damit aber die Kaufkraft stärken, die Wirtschaft ankurbeln und Firmen die weder Löhne noch Steuern zahlen wollen unserem Land fern halten. Es bräche nichts zusammen, sondern es gäbe Platz für ehrliche mittelständische Startups mit guten, neuen Ideen.

Das Einzige, was Sie offenbar erkannt haben ist, daß es beim bedingungslosen Grundeinkommen um andere Paradigmen geht. Da Sie diese aber nicht in Ihr Weltbild zwischen verschiedene Ismen einordnen können und sich nichts anderes als das Bestehende vorstellen wollen, lehnen Sie diese ab. Dabei geht es darum, die bürgerliche Gesellschaft unter den heutigen Gegebenheiten sinnvoll weiter zu entwickeln.



Zur Begründung der Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens führe ich folgendes aus:

Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen wird niemandem etwas geschenkt, sondern es handelt sich um ein Menschenrecht! Dieses Menschenrecht ist nur dann eines, wenn es global für alle Menschen gilt. Den ersten Einwand gegen das BGE, den ich ernst genommen habe war jener, daß es sich hier um ein Luxusproblem reicher Nationen handelt.

Herr Volker Kauder von der CDU hat am 08.11.2010 in der Anhörung von Frau Wiest vor dem Petitionsausschuß das Anliegen des BGEs mit einer Frage völlig auf den Kopf gestellt. Er fragte, wie sie sich entscheiden würde, wenn ein Reisebüro ihr die Wahl ließe, für eine Reise entweder 1.600 Euro zu bezahlen oder sie geschenkt zu bekommen. Auch suggerierte er, der Mensch wäre nunmal ein ökonomisches Wesen und würde die Reise sicher lieber nicht bezahlen. Frau Wiest antwortet darauf sehr schlagfertig, daß es erst einmal um die Frage ginge, ob sie überhaupt "da hin" verreisen wolle.

Diese Frage stellte das bedingunslose Grundeinkommen insofern auf dem Kopf, als unter selbigem kein Reisebüro irgend wem eine Reise schenken muß. Auch sonst muß niemand irgend wem irgend etwas schenken. Auch unter einem BGE kann ich mir eine solche Reise nur dann leisten, wenn ich das Geld dafür habe. Also muß ich sparen oder das fehlende Geld dazu verdienen und die Liste der Bedürfnisse, deren Befriedigung zwar nicht lebensnotwendig ist, die aber trotzdem Spaß machen, ist lang.

Warum das Bedingungslose Grundeinkommen kein gnädig oder gegebenenfalls großzügig gewährtes Geschenk sondern ein universales Menschenrecht ist, läßt sich mit einen naturrechtlichen Ansatz schlüssig begründen. Für Thomas Paine war der Besitz von landwirtschaftlich nutzbarem Boden die Grundlage der menschlichen Existenz. In seiner Schrift "Agrarian Justice" schlug er eine Grundsteuer auf Landbesitz vor, mit der sowohl Behindertenrenten und Altersversorgung, als auch ein Startkapital für jeden erwachsen Gewordenen finanziert werden sollten. Er erkannte bereits unter den damaligen Bedingungen, daß arm oder reich Sein keine göttliche Fügung ist, sondern daß die Startchancen vom Zufall der Geburt abhängen.

Damals hätte man jedem zu kurz gekommenem "Habenichts" vielleicht noch sagen können, daß sie oder er sich eben woanders hin begeben müsse, wo es noch Land zum Leben gibt, sofern er oder sie überhaupt die Mittel für eine Reise dort hin hat. Heute hat sich die Situation jedoch derart verschärft, daß nicht einmal Herr Kauders kostenloses Reiseangebot weiter hülfe. Wenn aber alle Ressourcen längst vergeben sind und irgendwem gehören und wenn ich aus den verschiedensten Gründen auf das Leben in dieser Gesellschaft angewiesen bin und zugleich das Existenzrecht und die Menschenwürde gelten sollen, dann schuldet mir die Gesellschaft ein bedingungsloses Grundeinkommen. Bedingungslos, weil das Existenzrecht nicht ohne Verlust seines Wesens an Bedingungen geknüpft werden kann.

Wenn außerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft keine Existenz mehr möglich ist, wenn ich als vergesellschafteter Mensch nicht mehr autonom sein kann, wenn ich mir nirgends mehr ein Stück Land zum Bearbeiten nehmen und nicht einmal wie ein Tier im Wald leben kann, weil mich selbst von dort der Waldbesitzer verjagt, muß mir diese Gesellschaft einen Mindestersatz für die nicht mehr mögliche Autonomie bereitstellen.

Da sich niemand seine Geburt örtlich oder sozial aussuchen kann, von diesen Faktoren aber immer noch sehr stark abhängt, ob man sein Leben in Wohlstand oder Armut fristen muß, würde das bedingungslose Grundeinkommen für etwas mehr Gerechtigkeit sorgen, nachdem weltweit annähernd alle Ressourcen der Allmende entzogen und in Privatbesitz umgewandelt worden sind.

Ein erster Schritt zur globalen Etablierung dieses Menschenrechtes ist bereits getan. Am 14.01.2013 hat die Europäische Kommission eine Europäische Bürgerinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen zugelassen. Das heißt, selbst wenn sich der Bundestag nicht damit befassen sollte, ist die Diskussion um ein BGE nicht aus der Welt geschaffen. Sie müssen mit uns rechnen!

Mit freundlichen Grüßen

Bruno Zacke






UPDATE, 07.09.2013, Post vom Petitionsausschuß:

Betr.: Reformvorschläge in der Sozialversicherung
Bezug: Ihr Schreiben vom 28. Juli 2013

Sehr geehrter Herr Zacke,

ich bestätige Ihnen den Eingang Ihres Schreibens.

Mit Ihrer Zuschrift setzen Sie sich kritisch mit dem Ergebnis der parlamentarischen Prüfung zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und insbesondere mit den in der veröffentlichten Begründung der Beschlußempfehlung genannten Argumenten auseinander. Ihre Ausführungen zeigen den Mitglieder des Deutschen Bundestages einen Teil der öffentlichen Meinung zur aktuellen Politik auf. Sie wurden deshalb als Meinungsäußerung zur Kenntnis genommen.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

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Erstellt: 29. Juli 2013 20:10
Geändert: 14. Oktober 2020 20:56
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