Initiative Pro Netzneutralität

Zum Urteil des BVerfG über den Berliner Mietendeckel

24. April 2021 16:36

© Zacke 2021

Ein paar unordentliche Gedanken:


I.

Das Bundesverfassungsgericht verkündete am 15.04.21 in einer Pressemeldung 1) und auch auf Twitter 2), daß das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und somit nichtig ist.

Zum Glück hat es damit nicht über die Vereinbarkeit eines Mietendeckels mit den Grundgesetz geurteilt, sondern dem Land Berlin die Zuständigkeit abgesprochen, ein solches Gesetz zu erlassen. Nach Ansicht des Gerichtes ist dies Sache des Bundesgesetzgebers.

Der Berliner Senat war anderer Ansicht. In einer Pressemeldung zum Urteil 3) verweist der Senator für Stadtentwicklung und Wohnen Sebastian Scheel auf die Föderalismusreform von 2006, nach der die Kompetenz für das Wohnungswesen seither in die alleinige Zuständigkeit der Länder fällt.

Das Gericht hält im Volltext der Entscheidung 4) einen langen an sich interessanten Vortrag über die Entwicklung des (sozialen) Mietrechtes. Auf meinen Tweet, die Lesbarkeit solcher Texte zu verbessern, hat das BVerfB leider nicht geantwortet. 5)

Es ist wohl der Länge der Urteilsbegründung und der Lesbarkeit des Textes geschuldet, daß mir beim ersten Lesen entging, was das Gericht zur obigen Föderalismusreform sagt. Mit Hilfe einer Textsuche, habe ich die entscheidenden Stellen noch einmal nach gelesen. In der Reihenfolge ihres Vorkommens heißt es:

"Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin könne nicht auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG („Recht der Wirtschaft“) gestützt werden. Es enthalte lediglich bürgerlich-rechtliches Preisrecht und halte den Preisstand nicht aus wirtschaftspolitischen Gründen aufrecht." Absatz 33 6)


"b) § 1 in Verbindung mit § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln lässt sich schließlich nicht auf Art. 70 GG stützen. Der frühere Gesetzgebungstitel „Wohnungswesen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a.F.) umfasste jedenfalls im Zeitpunkt seiner Änderung durch die Föderalismusreform I im Jahr 2006 (aa) vor allem die Wohnraumbewirtschaftung, die Wohnungsbauförderung und den sozialen Wohnungsbau (bb). Die Festlegung der höchstzulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum fiel nicht darunter (cc)." Absatz 178 7)


"Unter dem Eindruck der Staatspraxis seit 1949 hat sich der Begriff „Wohnungswesen“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a.F. jedoch in der Weise geklärt, dass er das dem bürgerlichen Recht zuzuordnende Recht der Miethöhe für ungebundenen Wohnraum, bei dem die Auswahl der Vertragspartner, die Bestimmung der Mietsache, die Mietdauer und der Mietzins vorbehaltlich gesetzlicher Schrankenziehungen auf der privatautonomen Entscheidung der Vertragspartner beruhen, nicht (mehr) umfasst." Absatz 182 8)


Sehr verkürzt sagt damit das Gericht, mit der Föderalismusreform von 2006 gingen lediglich das Wohnungswesen, d.h. Wohnraumbewirtschaftung, Wohnungsbauförderung und sozialer Wohnungsbau auf die Länder über. Zu ungebundenem Wohnraum, das Gericht meint damit, frei finanziert und auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten, darf das Land Berlin kein Gesetz über die Begrenzung der Mieten machen. Dieser Bereich gehört schon seit 1949 nicht mehr zum Wohnungswesen.

Das Gericht stellt außerdem fest, daß der Gesetzgeber den ungebundenen Wohnraum in seinem Kompetenzbereich erschöpfend geregelt hat, weshalb für das Land Berlin keinerlei Raum für eine weitergehende Regelung bleibt. Vergleiche Absatz 82 ff. 9)


II.

Der Grund, warum Berlin überhaupt auf die Idee kam, einen Mietendeckel einzuführen, besteht nach wie vor und es wurde genug dazu geschrieben, daß das Problem nun vom Bundesgesetzgeber gelöst werden müsse.

Wir dürfen also insbesondere auf das Engagement der SPD bezüglich eines bundesweiten Mietendeckels gespannt sein. Auch die Lohnsituation von Geringverdienern deutlich zu verbessern würde diesen helfen, ihren Mietzins zu begleichen und wäre eine Wiedergutmachung für die Einführung von Hartz IV. Ich bezweifele aber, daß die SPD in einer neuen Regierung überhaupt etwas zu sagen haben wird und finde dies vielleicht sogar besser. Die Grünen mag ich zwar auch nicht, wegen der Mitverantwortung für Hartz IV, dennoch wäre Annalena Baerbock als grüne Kanzlerin einen Versuch wert.

Von neoliberalen Schwurblern wurde vor dem Urteil oft gesagt, durch einen Mietendeckel würde keine einzige neue Wohnung geschaffen. Ein Ablenkungsmanöver, das die Verantwortung verschiebt und einen funktionieren Wohnungsmarkt vorgaukeln soll. Wo werden denn günstige Wohnungen für Geringverdiener gebaut? Wo werden frei werdende günstige Wohnung nicht aufgewertet oder umgewandelt und nicht dem Mietmarkt entzogen? Wo findet keine Verdrängung und Gentrifizierung statt? Die Apologeten eines entfesselten nicht regulierten Marktes bauen nur für Investoren und Reiche, nicht für Menschen, die ansonsten unter einer Brücke schlafen müßten.

Durch Neubau wird derzeit nicht das Problem gelöst, daß viele Menschen einen großen Teil ihres Verdienstes für die Miete ausgeben müssen. Die private Immobilienwirtschaft hat kein Interesse, günstigere Wohnungen anzubieten und kann es vermutlich auch nicht.

2019 betrugen in Deutschland die monatlichen Ausgaben der privaten Haushalte für Mieten durchschnittlich etwa 720 Euro oder 28% ihrer Konsumausgaben. Darin sind noch nicht einmal Heizung und Warmwasser enthalten. 10)

Wie immer sagen diese Durchschnittswerte nichts über die Situation einzelner Menschen aus. Die Ausgaben für die Miete betrugen 2019 bei privaten Haushalten im Durchschnitt rund 26% des gesamten zur Verfügung stehenden Einkommens. Bei armutsgefährdeten Haushalten lag diesen Anteil sogar bei 49%, also fast die Hälfte dessen, was sie verdienen. 11)

"11,4 Millionen Menschen in Deutschland lebten im Jahr 2019 in durch ihre Wohnkosten überlasteten Haushalten. Das waren rund 14 % der Bevölkerung" 12) Ob sich diese Menschen noch etwas anderes als unmittelbare Verbrauchsgüter leisten konnten?

Eine Diskussion, daß nicht alle Empfänger von sozialen Leistungen mit Geld umgehen können, führt hier nicht weiter. Stattdessen lohnt sich ein Blick auf die Berichte der NGO OXFAM 13). Sie zeigen, daß die Schere zwischen Arm und Reich weltweit immer weiter und immer unanständiger auf geht.


III.

Leider bin ich mir nicht mehr absolut sicher, ob nach Ansicht des BVerfG ein Mietendeckel mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, nachdem es nun das Kaninchen des ungebundenen Wohnraumes aus dem scharlachroten Barett gezaubert hat.

Ich hoffe.

Menschenrechte ohne materielle Grundlage existieren für die betroffenen Menschen nicht. Deshalb sollte es unbedingt ein Menschenrecht auf Wohnen und zu dessen Durchsetzung auch einen Mietendeckel geben.

Rechte, die gesichertes Wohnen als materielle Grundlage benötigen, finden sich just in unserem Grundgesetz. 14):

Art 1 (1), Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Art 2 (2), Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Art 13 (1), Die Wohnung ist unverletzlich.


Der Bund hat auch ein besonderes Recht:

Art 104d, Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gewähren. Artikel 104b Absatz 2 Satz 1 bis 5 sowie Absatz 3 gilt entsprechend.


Das Recht auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens findet sich auch in den Artikeln 2 und 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, welche in Deutschland am 03.09.1953 (BGBl. 1954 II S. 14) in Kraft getreten ist und für Gerichte nach gemeinsamem Konsens übergesetzlichen Rang hat. 15) Leider wird in dieser Konvention auf die Todesstrafe "Rücksicht" genommen. Darum keine Textzitate.

Wen wundert, daß mensch erst Recht aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ein Recht auf Wohnen ableiten könnte? 16)

Artikel 3 (Recht auf Leben und Freiheit)

Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.


Artikel 12 (Freiheitssphäre des Einzelnen)

Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.


Artikel 22 (Recht auf soziale Sicherheit)

Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.


Was nützen diese Rechte ohne das Recht auf Wohnen? Und was gehört noch dazu?


IV

Als ich das Urteil des BVerfG las, fragte ich mich, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach der höchstrichterlichen deutschen Entscheidung nun ein Adressat wäre, um nicht nur den deutschen Gesetzgeber zur Einführung eines Mietendeckels zu verdonnern. Dies ist wahrscheinlich eine verrückte Idee und was ginge schneller, so ein Verfahren oder eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, einen Mietendeckel auf dem vorgesehenen gesetzgeberischen Weg zu etablieren? Schwer zu sagen.


V.

Es bedürfte einer Systemveränderung. Diese bräuchten wir sowieso, nicht nur bezüglich des Wohnens.

Der mehr oder weniger immer noch ausgesessene Klimawandel könnte uns schneller als voraus gesagt den Garaus machen. Der Verfassungsschutz aber vermutet hinter dem Slogan der Extinction Rebellion Bewegung "Systemwandel statt Klimawandel" verfassungsfeindliche Bestrebungen. Wie kann mensch die Dringlichkeit der Defekte unseres globalen Systemes derart mißverstehen?

Auch die Handhabung der weltweiten Corona-Pandemie schreit hier in Deutschland nach einem Systemwandel. Es könnte alles etwas pragmatischer und schneller gehen, wenn es sein muß, sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen für Menschen, welche die Pandemie leugnen und durch ihr Verhalten andere und uns alle willentlich gefährden.

Unser System hat noch viele andere, dringende Reparaturstellen. Zum Beispiel die Integration von Menschen, die wir entgegen aller Konventionen, Abkommen und hehren Sonntagsreden mehr oder weniger aus unserer Gemeinschaft ausschließen. Stellen Sie sich hier eine lange, bekannte Liste vor.


VI.

Eine andere Möglichkeit, als das Thema Miete und Wohnen weiter aktuell zu halten und öffentlichen Druck aufzubauen, sehe ich nicht. Ich entschuldige mich also dafür, über dieses Thema geschrieben und die dafür nötige Lesezeit gestohlen zu haben.



Bitte nun diesen Appell für einen bundesweiten Mietendeckel unterzeichnen und verbreiten: https://aktion.campact.de/mietendeckel/appell/teilnehmen


Bitte die Unterschriftenliste für die Initiative zum Volksentscheid “Deutsche Wohnen & Co. enteignen” herunterladen und massenhaft unterschreiben. (PDF-Link):
https://www.dwenteignen.de/wp-content/uploads/2021/02/LAL-VB_3a_2b-2021_UListe_Druck.pdf





Gemeinsame Erklärung von Gewerkschaften, Mietervereinen und Organisationen der Zivilgesellschaft vom 19.04.2021 zu dieser Initiative (PDF-Link): https://www.dwenteignen.de/wp-content/uploads/2021/04/Unterstu%CC%88tzungserkla%CC%88rung_DW_und_Co_enteignen.pdf



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Quellen:

1) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-028.html

2) https://twitter.com/BVerfG/status/1382597507641905152

3) https://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_2104/nachricht7075.html

4) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html

5) https://twitter.com/VegOs/status/1382732486808076290

6) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html#abs33

7) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html#abs178

8) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html#abs182

9) https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/fs20210325_2bvf000120.html#abs82

10) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/868855/umfrage/mietkostenanteil-an-konsumausgaben-privater-haushalte-in-deutschland/

11) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/806247/umfrage/anteil-der-wohnkosten-am-einkommen-privater-haushalte-in-deutschland/

12) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/10/PD20_428_639.html;jsessionid=C4591F22B69ECC67C2D930B8E0B50965.live712

13) https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/presse/themen-dossiers/soziale-ungleichheit

14) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html

15) https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Menschenrechtskonvention
https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/0900001680063764

16) http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte


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Erstellt: 24. April 2021 16:36
Geändert: 29. April 2021 20:53
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