Initiative Pro Netzneutralität

Nachruf: Thomas Schweisthal 1961 - 2023

4. Juli 2024 13:48

© Foto: T. Schweisthal

Can you hear me Major Thoms? - Dies schrieb ich in die Betreffzeile meiner letzten Email an Thomas. Das war im April 2024. Er hat meine Nachricht nicht mehr lesen können, denn er war Mitte Dezember 2023 gestorben. Nach über 4 Tausend und 220 Emails konnte ich mir das nicht vorstellen, obwohl er mir schon länger nicht mehr geantwortet hatte.

Wie er mir noch im Dezember schrieb, hatte er sich an einer Schule mit COVID infiziert, wo er Einzelbetreuung für eine Schülerin machte. Er war sicherlich geimpft und damit vor dem Schlimmsten geschützt. Natürlich machte ich mir mit der Zeit Sorgen um ihn. Ich dachte aber, daß es ihm wohl viel zu schlecht geht, als daß er Lust hätte, sich zum Beantworten einer Email aufzuraffen. Dafür hatte ich absolutes Verständnis.

Es war üblich, daß wir unsere Namen in der Anrede verballhornten. Oft hatte das einen inhaltlichen Bezug zur vorausgegangenen Email. Naja, als ich nach Major Thoms fragte, flog er halt durch das Universum und war schon sehr weit von der immer noch sehr schönen aber auch sehr kranken Erde entfernt.


© Foto: T. Schweisthal
Angefangen hat unsere Fernunterhaltung mit einer Email vom 3. September 2001, in der ich anfragte, ob wir gegenseitig Links setzen wollen. Zwischen dieser Email und seiner letzten vom 5.12.23 sind immerhin ein paar Jahre vergangen. Ich habe seinen Sohn Leon virtuell mit aufwachsen gesehen. Thomas hat auch aus meinem Leben viel mitbekommen. Es gab ja immer irgend etwas zu erzählen oder wir schimpften über die Auswüchse des Kapitalismus. Zusätzlich gab es eine große Schnittmenge in unseren Interessen. Z.B. Musik, manchmal recht heftig krachende oder sehr skurile.

Es ging hie und da auch um Literatur, obwohl ich von der Social Beat Szene der 90er Jahre, für die er für mich stand, absolut keine Ahnung hatte. Immerhin kannte ich Charles Bukowsky, weil der Zündfunk, eine Sendung des Bayerischen Rundfunks, noch zu meiner Schulzeit Texte von ihm präsentierte. Diese haben mich geradezu vom Hocker gehauen. War halt was anderes als die Literatur, die uns in der Schule nahegelegt wurde. Aber auch dort fand ich an Droste-Hülshoff und Mörike Gefallen. Und an Kafka!

Thomas mußte sich hinter Bukowsky nicht verstecken, der sicher eines seiner Vorbilder war. Er war wie ich ein großer Fan von ihm. Thomas konnte ohne Zweifel super gut schreiben, wirklich! Er hätte es verdient gehabt, darin sein Auskommen zu finden. Dann würde jetzt eine Ehrentafel an dem Haus hängen, in dem er die letzten Jahre seines Lebens lebte: Hier wohnte von 2012 bis 2023 Thomas Schweisthal, Schriftsteller, geboren 07.12.1961 in Bonn, gestorben am 15.12.2023 in Regensburg, Autor von Kurzgeschichten, Gedichten und dem teils verfilmten Fortsetzungsroman "Strand an der Donau", der nur durch sein Ableben ein Ende fand.

Der Roman hatte natürlich kein Ende. So plump war der nicht angelegt. Daran haben sich die größten Literaturkritiker unserer Zeit die Zähne ausgebissen. Auch war von Anfang an nicht klar, um was es überhaupt geht. Charaktere, äußerst interessant Personen, tauchten auf und verschwanden wieder, aus unerfindlichen Gründen. Manche waren sympathisch, andere waren absolute Kotzbrocken, auch Damen. Sie alle hatten gemeinsam, daß sie sehr lebensecht und faszinierend geschrieben waren. Dummerweise bezogen sie sich immer wieder auf längst verschwundene Charaktere aus vorausgegangenen Ausgaben. Das kurbelte den Verkauf der Bände enorm an. Menschen die sich aufgrund einer Empfehlung nur einen bestimmten, angeblich besonders guten Band gekauft hatten, erwarben nach und nach alle Ausgaben.

Außer daß er sich COVID eingefangen hatte, schrieb mir Thomas, daß er im gesamten Mund- und Rachenraum zum Teil vereiterte Aphthen (Schleimhautgeschwüre) hatte. Des Weiteren starke Halsschmerzen, einen Scheißhusten, Schnupfen und eine unangenehme Riechstörung, deren Folgen ich wörtlich zitieren möchte: "Von einer auf die andere Stunde hat mein einst leckerer Kaffee wie eine Mischung aus Kotze, Scheiß und Leichenteilen geschmeckt. Und diese grässliche Mischung schmecke ich jetzt nach und nach in immer mehr Lebensmitteln..."

Ich machte mir wegen COVID keine schlimmen Sorgen um ihn und ging davon aus, daß er irgendwann wieder gesund wird. Er war ja in ärztlicher Obhut. Wohl sah ich das Risiko von Long-COVID und hoffte, daß es ihn nicht erwischt.

Er hatte zwei kleine Webseiten. Eine für seinen 1998 gegründeten Verlag PO EM PRESS und eine als Versuch, nach seiner Ausbildung zum Heilpraktiker als selbiger Fuß zu fassen. Das hat aber nicht geklappt und den Verlag betrieb er aus finanziellen Gründen schon lange nicht mehr. Dort konnte schon länger keines der von ihm herausgegebenen Bücher, ähnlich unterschätzter Autoren wie er, bestellt werden. Als ich die Verlagsseite aufrufen wollte, war sie nicht mehr da. Die andere Seite war auch weg. Erst jetzt machte ich mir ernsthafte Sorgen um Thomas.

Ich wählte seine Telefonnummer. Ich sprach auf den Anrufbeantworter, der noch lief. Ich weiß ja, Leon wohnt ebenfalls da. Erst passierte nichts, deshalb rief ich noch zwei mal an, wußte aber nicht, was ich sagen sollte.

Dann rief Johanna, die Lebensgefährtin von Thomas, zurück: "Bist Du der Bruno Zacke?" Wir redeten eine ganze Weile und wußten erstaunlich viel übereinander. Vielleicht war es nicht das Wichtigste, aber ich hakte gleich wegen den Webseiten nach, deren Adressen verloren zu gehen drohen, um dann irgendwann meistbietend verhökert zu werden. Die Daten der Seiten hatte ich ja, nicht aber die Domains.

Inzwischen konnte ich die ehemalige Verlagsseite als Andenken an Thomas wieder unter der Originaladresse ins Internet stellen. Ich kann mir außerdem nichts Besseres vorstellen, um ihn als Verleger und Autor zu portraitieren.

Wegen diesen beiden Webseiten haben wir uns auch sehr viel hin und her geschrieben. Ursprünglich hatte Laura Kamikaze, eine Künstlerin und Bekannte, die Verlagsseite designt. Ich habe sie übernommen und behutsam modernisiert. Später habe ich die Heilpraktikerseite komplett erstellt. Ich habe ihm sogar ein wenig HTML und CSS beigebracht, da es aber nur wenig zu updaten gab und ich das machte, hat er es wohl wieder vergessen. Immerhin bekam er einen kleinen Eindruck davon, wie Webseiten funktionieren und daß dies keine Zauberei, sondern oft nur simpler Text ist, den der Browser bunt darstellt. Beliebig kompliziert geht aber schon.

Nach Auskunft der Ärzte im Krankenhaus ist Thomas gar nicht an COVID, sondern an Streptokokken gestorben. Solche entzündeten Aphthen, wie sie Thomas in seiner Email schilderte, sind typisch für eine Streptokokkeninfektion. Leider habe ich das erst nachschlagen, nachdem ich davon erfuhr. Natürlich bin ich medizinischer Laie, auch wenn ich mich zu den - laut WHO-ICD (Diagnose- und Abrechnungsschlüssel) - sogenannten seltenen Erkrankungen und zu Hormonschadstoffen ein wenig eingearbeitet habe und u.a. damit in den sozialen Medien unterwegs bin.

Warum wurde Thomas Erkrankung nicht besser diagnostiziert?

Das ist eben dieser eiskalte Kapitalismus, wo Menschen entweder privat versichert oder für die Ärzteschaft nur eine gesichtslose Nummer sind. Obwohl es hier ein Gedankensprung zu sein scheint, würde mir Thomas zustimmen: Der Klimawandel ist das Äquivalent des unverschämten Reichtums von ein paar Wenigen! Bitte 10 mal wiederholen!

Alles funktioniert nach den Regeln des Kapitalismus, sogar das Gesundheitssystem. Der Kapitalismus hat aber keine Zukunft oder wird haben keine! Wenigstens bleibt dieser worst case Thomas erspart. Mir wäre es aber lieber, er hätte noch erlebt, ob wir das mit dem Klima besser hin bekommen. Oder ob endlich mal Kriege aufhören und die Verantwortlichen angemessen bestraft werden.

Natürlich habe ich mit Thomas selber auch ein paar wenige Male telefoniert. Aber während sich diese Anrufe längst im Wasser der Lethe aufgelöst haben, sind unsere Emails immer noch da.

Zu Beginn unserer langen digitalen Korrespondenz war er Buchhälter, wie ich ihm immer schrieb. Dann machte er nebenbei eine Heilpraktikerschulung, während ich für eine Selbsthilfegruppe ehrenamtlich Fachtexte aus dem Englischen übersetzte. Ab da war Gesundheit und Umwelt für uns ein bleibendes Thema. Erst recht, als das Corona-Virus im Anmarsch war.

Sein recht langer Buchhälterjob im Homeoffice war irgendwann zu Ende. Das Jobcenter genehmigte eine Weiterbildung, doch er merkte, daß sich die Buchhälterei zu etwas weiterentwickelt hatte, das nicht mehr seins war. Schließlich fand er einen Job, den er sehr gerne machte. Er betreute einzelne Schüler:innen. Er saß mit ihnen im Unterricht, erklärte oder reichte auch mal ein Taschentuch und half ihnen bei den Hausaufgaben. Er war damit erfolgreich. Er erzählte oft von seinen Schützlingen. Beschämend fand ich, daß der Träger ihn über die Sommerferien stets entließ und danach wieder einstellte. Auch das ist der häßliche Kapitalismus, wenn selbst Vereine mit sozialem Vereinszweck derart handeln müssen.

Eine Geschichte war sehr rührend. Der Mafioso, so nannten wir ihn unter uns, lernte nicht nur schlecht, sondern hatte "soziale Defizite". Obwohl er sich gut entwickelte, meinte die Klassenlehrerin, die Thomas zuvor noch dafür gelobt hatte, daß der Aufwand vergeblich und der Mafioso besser in einer Sonderschule aufgehoben wäre. Die Mutter, zu der Thomas einen guten Draht hatte, konnte dies verhindern und brachte ihr Kind in einer anderen Schule, vermutlich ganz ohne Betreuung, unter.

Inzwischen betreute er jemand anderes an einer neuen Schule, als ihm dort ausgerechnet der Mafioso auf die Schulter tippte: Hallo Thomas! Er konnte inzwischen dem Unterricht ohne Hilfe folgen und hatte genau so viele Kumpels wie andere Schüler. Einen besseren Lohn kann es für eine Arbeit nicht geben, auch wenn das keine schlechte Bezahlung aufwiegt.

Eine andere Geschichte, die auch erzählenswert gewesen wäre: Ein etwas älterer Ehemaliger "mit Migrationshintergrund", der sich anfänglich nichts zutraute und die Schule gut schaffte, wartet nun vergebens, daß Thomas mit ihm für seine Lehrlingsprüfung lernt.


© Foto: T. Schweisthal
Ob Thomas die letzten Jahre als Autor noch etwas schrieb, weiß ich leider nicht. Zumindest hatte er das Schreiben nach dem Ausklingen des Social Beats, nicht aufgegeben. Er verfaßte Gedichte, die er Feierabendpoems nannte, wie er mir 2004 mitteilte. Feierabendgedichte klingt entweder nach Häkeldeckchen oder Anarchismus, meinte ich. Ich weiß nicht mehr, ob ich damit auf den "anarchistischen" Erkenntnistheoretiker Paul Feyerabend anspielte. Er entschied sich für Häkeldeckchen und schickte mir eines. Vielleicht waren diese sein Privatvergnügen und ein Geschenk an seine Angehörigen.

Thomas hat mir zudem über die Jahre etliche Fotos geschickt. Ich habe vorhin noch einmal alle Emails auf Anhänge überprüft, um möglicherweise übersehene Fotos aufzuspüren. Es waren schöne Urlaubsfotos dabei, von den Orten, den Landschaften und der Natur. Manchmal war es auch einfach nur der Strand der Donau. Eines dieser Fotos habe ich als Titelbild ausgesucht.

Thomasio de la Palma da Gamba, ich hoffe Dir gefällt, was ich hier für Dich geschrieben habe. Nimm das mit dem Sterben nicht so schwer. Kann jedem passieren. Wird schon wieder.





Erstellt: 4. Juli 2024 13:48
Geändert: 16. August 2024 12:53
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