Initiative Pro Netzneutralität

Wer bezahlt eigentlich die Arbeit?

28. Februar 2010 19:35

Wie so oft läßt man sich lieber auf eine blödsinnige Debatte ein und wird verarscht. Statt die wirklichen Probleme zu diskutieren, trägt man eine Faulheitsdebatte aus. Das Thema und die verwendeten Begriffe werden brav wie Bello apportiert und man beweist sich als nicht faul. Einer hat sogar Herrn W. wegen Beleidigung angezeigt. Schade finde ich nur, daß er auf seinen Arbeitswillen pocht. Dies entwertet seine ehrenamtliche Tätigkeit als nicht wirkliche Arbeit. Stattdessen gälte es zu fordern, genau diese als Arbeit anzuerkennen und anständig zu bezahlen. Das wäre die Antwort auf alle Hetzer.

Über lange Zeit hing das Einkommen der meisten Menschen von ihrer geleisteten Arbeit ab. Wer durch redliches Mühen ein Feld bestellte konnte mehr ernten, als von selber gewachsen wäre. Wer Rohstoffe einkaufte und durch seiner Hände Arbeit aus diesen etwas für andere brauchbares herstellte, konnte das Produkt aus den Materialien zu einem höheren Preis verkaufen. Dieses einfache Prinzip der Wertschöpfung sah in der Wirklichkeit meistens etwas komplizierter aus und nicht immer ging es gerecht zu, aber es hatte einigermaßen Bestand.

Heute löst sich dieser plausible Zusammenhang zwischen Arbeit und Einkommen auf. Es gibt Menschen die nicht arbeiten und Einkommen beziehen und Menschen arbeiten ohne angemessen bezahlt zu werden. Obwohl jeder sieht, wie sich dieser Zusammenhang immer mehr auflöst, tut man so, als ob er weiter bestehen würde.

Obwohl manche sehr hohe Einkünfte haben, ohne dafür arbeiten zu müssen, pocht man auf das alte Leistungsprinzip, nachdem niemand etwas unverdient bekommen solle. Zur Wahrung des Anscheins, daß dieses Prinzip noch immer gelten würde, gibt man hohe Summen aus. Man kauft bei entsprechenden Anbietern Arbeitsmöglichkeiten für Arbeitslose ein, damit diese ihr Almosen nicht unverdient beziehen. Sie müssen arbeiten, basta! Die Absahner schont man.

Daß dies teurer ist, als die Almosenempfänger dem Müßiggang oder einer selbst gefundenen sinnvolleren Beschäftigung anheim fallen zu lassen, scheint noch niemand aufgefallen zu sein. Daß diese Arbeitsgelegenheiten genau das tun, was sie dem Gesetz nach nicht tun dürfen, nämlich reguläre Arbeitsplätze zu verdrängen, wissen zumindest jene, die das Glück hatten, in einer Maßnahmen mit einer akzeptablen Tätigkeit zu landen.

Tut Nichtarbeiten weh oder muß Arbeit weh tun?

Unser Arbeitsbegriff ist immer noch von der historischen Erwerbsarbeit geprägt. Arbeit war einst mit körperlicher Anstrengung verbunden. Man bekam wirklich nichts geschenkt. Heute gibt es immer weniger körperlich anstrengende Arbeit und zur Wertschöpfung werden immer weniger Menschen gebraucht, weil Knowhow und Maschinen dies übernehmen. Trotzdem sind unsere Vorstellungen von Arbeit immer noch von Anstrengung geprägt und weil solche Arbeit nicht immer angenehm war, auch von Selbstverleugnung. Dafür wurde man bezahlt. Auf der anderen Seite sind Tätigkeiten die noch nie mit einem Einkommen verbunden waren immer noch nicht als Arbeit anerkannt, egal wie nützlich sie für die Gesellschaft sind. Sie machen zwar Arbeit, man kann sich aber nichts dafür kaufen.

Dieser überkommene Arbeitsbegriff hat zwar für die Produktion ausgedient, eignet sich jedoch immer noch recht gut zur Disziplinierung und dürfte so gesehen immer noch sein Geld wert sein. Arbeit war mal der Weg in’s Leben, als die Menschen noch für sich selber arbeiteten und in beschaulichen Verhältnissen lebten. Mit zunehmender Industrialisierung dürfte das immer weniger gestimmt haben.

Dieser Arbeitsbegriff suggeriert einen Zusammenhang zwischen Anstrengung und Erfolg. Obwohl es nicht mehr möglich ist, alle Menschen in einem sozial-versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis “unterzubringen”, wird der Eindruck erweckt, dies läge nur an der schlechten Vermittlung der Arbeitsämter und daran, daß die Arbeitslosen zu wenig suchen würden. Die Arbeitsplätze vermehren sich also, je besser vermittelt und je mehr nach ihnen gesucht wird. Es sieht nur so aus, als ob dadurch der Konkurrenzdruck um zu wenig Arbeitsplätze unter den Arbeitssuchenden erhöht würde. Irreführung haben Illusionen so an sich.

Die Illusion einer möglichen Vollbeschäftigung wird genau seit jener Zeit aufrecht erhalten, als uns diese abhanden kam.

Vollbeschäftigung wäre rein theoretisch möglich. Ich erzähle oft mein Beispiel, das mit Solarenergie funktioniert. Ich führe es nur kurz aus, ausführlicher und unterhaltsamer kann man es hier nachlesen.

Man könnte auf jedes daher gelaufene Hausdach einem Sonnenkollektor oder eine Photogalvanik pappen. Das gäbe viel Arbeit für Installateure. Würde man das dafür benötigte Gelumpe hier bei uns und nicht großindustriell sondern in mittelständischen Betrieben herstellen, entstünden noch mehr Arbeitsplätze. Dies würde aber Eingriffe in den Markt voraussetzen, die aufgrund der Interessen welche unsere Politik vertritt, absolut nicht machbar sind. Selbst wenn man so zu einer Vollbeschäftigung käme, wäre es abzusehen, daß früher oder später die Zahl der Arbeitsplätze wieder sinkt. Wenn man nicht nur aus Profitgründen sondern aus praktischen Gründen rationalisiert und den technischen Fortschritt zuläßt, nimmt die Zahl der benötigten Arbeitskräfte ab.

Mit einem solchen Beschäftigungsprogramm hätten wir uns lediglich ein Stück in die Vergangenheit zurück versetzt. Genau das scheinen jene zu wollen, die an dem alten Begriff von Arbeit festhalten. Deshalb wird das Lohnabstandsgebot aus dem Ärmel gezogen. Wer arbeitet soll mehr haben, Leistung soll sich lohnen. Aber ja doch, bitte!

Nur ist die angedachte Lösung ein wenig menschenverachtend: jene die Arbeiten weiterhin schlecht zu bezahlen und die Almosen für jene die nicht mehr “arbeiten” zu senken. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 09.02.2010 die Höhe der Hartz IV Sätze nicht beanstandet. Gleichzeitig hat es das grundgesetzlich verbriefte Recht aller Menschen auf Menschenwürde auch für Hartz IV Empfänger zugelassen und gefordert, daß die Regelsätze dem gerecht werden müssen.

Würde man die Regelsätze senken, wären die Menschenwürde schnell gefährdet. Doch dann müßte erst wieder jemand klagen und bis die Klage bis zum Bundesverfassungsgericht durch ist, vergeht genug Zeit für jene, die das so wollen.

Einen schönen Gedanken zum Lohnabstand liefert Jens Berger in einen Telepolis-Artikel. Wenn das vielbemühte Marktmodell funktionieren täte, würde sich ein Lohnabstand automatisch einstellen. Wie wir wissen, müssen Hartz IV Empfänger qua Gesetz jede zumutbare Arbeit annehmen und können nicht nein sagen. Dies und nicht vorhandene Regelungen zum Mindestlohn führen dazu, daß Arbeit immer schlechter bezahlt wird. Das hat nichts mit freiem Spiel der Marktkräfte zu tun. Gleichzeitig kann man mittels fehlendem Lohnabstand jene die noch arbeiten gegen jene die nicht mehr arbeiten ausspielen.

Die Verweigerung eines allgemein gültigen Mindestlohnes provoziert die Frage, wer eigentlich die Arbeit bezahlen soll. Wenn die Löhne zum leben nicht reichen, tauchen die noch arbeitenden Menschen beim Arbeitsamt auf und bekommen Aufstockung. Wer bezahlt diese? Die Allgemeinheit bezahlt einen wesentlichen Teil der Arbeit, die eigentlich der Arbeitgeber bezahlen müßte. Ihm obliegt es, diese Arbeit so einzusetzen, daß damit Werte geschaffen werden. Einen Teil davon bekommt der Arbeitende als Lohn. Wenn die Arbeit eines Menschen nicht mehr genug Mehrwert abliefert und wenn immer weniger menschliche Arbeit benötigt wird, hat dies andere Gründe als dessen Faulheit. Von diesem gesellschaftlichen Wandel hört man in den aufgeregten Debatten viel zu wenig.

Für das Verschwinden von produktiver Arbeit dürfte nicht nur der technische Fortschritt verantwortlich sein. Ich vermute, daß die Versuchung zu groß ist, ohne Produktion durch Spekulation, Steuerbetrug und andere krumme Geschäfte zumindest einen Mehrwert an Kaufkraft zu erwirtschaften. Diese Summen fehlen dann im wirtschaftlichen Kreislauf, selbst wenn sich keiner verzockt hat. Doch das liegt außerhalb des Wahrnehmungsbereiches der Betriebswirtschaftslehre.

Polemisch frage ich, auf was die derzeitig Wirtschaftspolitik hinauslaufen soll. Null-Lohn für’s Arbeiten und bei Hartz IV Empfängern alle Einkünfte anrechnen, so daß nur was über die erhaltenen Leistungen geht behalten werden darf? Aus Gründen der Gerechtigkeit und wegen des Lohnabstandsgebotes könnten man alle Arbeitsverhältnisse in Hartz IV Bezug umwandeln. Das wäre für Deutschland ein schöner Standortvorteil. Jeder kriegt also Hartz IV Leistungen und wer fleißig arbeitet, darf behalten was diese übersteigt?

Der Niedriglohnsektor wird ideologisch meist mit “minderwertiger” Arbeit begründet, die nur schlechter bezahlt werden könne. Gibt es also schon wieder minderwertige Menschen die auch irgendwie weniger leben? An dieser Stelle höre ich lieber auf zu polemisieren.

Die Frage nach der Bezahlung von Arbeit beantworte ich wie folgt: Wenn schon kein Bedingungsloses Grundeinkommen in diesem Staat möglich ist, weil man lieber alles bureaukratisch und umständlich oder gar nicht löst, schlage ich vor, daß die Allgemeinheit jede ihr nützliche Arbeit bezahlen sollte und daß die Arbeitgeber gewerbliche Arbeit in vollem Umfang entlohnen. Wenn sie Leute einstellen, tragen sie für diese eine Verantwortung, die sie nicht auf die Allgemeinheit abwälzen dürfen. Das war mal in Deutschland ganz selbstverständlich.

Arbeit anständig zu bezahlen, wäre immerhin eine Möglichkeit, unsere Situation ein wenig zu entspannen und käme nicht nur den Menschen die das Geld ausgeben könnten, sondern der gesamten Wirtschaft zugute. Es würde allen nutzen, wenn der Staat durch ein höheres Steueraufkommen wieder etwas flüssiger wäre.

Besser wäre aber eine Lösung der zugrunde liegenden Probleme. Wenn immer mehr Menschen aus dem Produktionsprozeß fallen, wenn es nicht genug Erwerbsmöglchkeiten für alle gibt, muß eine gerechte Lösung her. Der Kapitalismus muß so etwas leisten und könnte es. Wenn kein friedlicher Interessenausgleich in unserer Gesellschaft möglich ist, steuern wir auf einen unschönen Konflikt zu, der einer Zivilisation unwürdig ist.

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Erstellt: 28. Februar 2010 19:35
Geändert: 15. Februar 2012 20:41
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