Übersetzung: BrunO
© Foto: Spike Walker Wellcome Images CC: BY-NC-ND
Fossil diatoms from Omaru, New Zealand, arranged on a mount and viewed with a light microscope using Rheinberg illumination.
Prüfen Sie mit einer einfachen Frage Ihre Kenntnisse der lebenden Welt. Welches Biomolekül ist in allen lebenden Organismen zu finden? Wenn "DNA" Ihre Antwort ist, haben Sie nicht Recht. Der Fehler ist jedoch sehr verzeihlich. In englischsprachigen Biologiestudiengängen ist es üblich, die DNA (Desoxyribonukleinsäure) als Hauptmolekül des Lebens vorzustellen, das die meisten, wenn nicht alle Lebensfunktionen steuert und kontrolliert. Dieses Konzept des Hauptmoleküls ist populär. Es ist plausibel. Es wird an jeder Universität und jeder weiterführenden Schule gelehrt. Doch es ist falsch. Die DNA ist keine Hauptsteuerung und steht schon gar nicht im Mittelpunkt der Biologie. Stattdessen zeigt die Wissenschaft überdeutlich, daß das Leben selbstorganisierend ist und deshalb wäre für die Biologie ein ultimativer Paradigmenwechsel angebracht.
Die Mythologisierung der DNA
Sehr angesehene Wissenschaftler verweisen mit Nachdruck auf die Mächtigkeit der DNA. Der Nobelpreisträger Kary Mullis nannte das DNA-Molekül "Den König der Moleküle" und "Das Bedeutendste". Vielleicht hat er DNA: Das Geheimnis des Lebens gelesen, ein populäres Buch, das die DNA als jenes Molekül bezeichnet, das "den Schlüssel zur wirklichen Natur der lebenden Dinge enthält". Dessen Autor sollte es wissen. Es ist der Nobelpreisträger James Watson, Mitentdecker der DNA-Struktur. Auch Institutionen haben eine eindeutige Meinung, wenn es um DNA geht; die Webseite des des nationalen Gesundheitsinstitutes der USA (US National Institute of Health/NIH) behauptet, "Gene sind der Mittelpunkt von allem was uns zu Menschen macht".Mein Exemplar von Das Geheimnis des Lebens zeigt auf der Rückseite des Einbandes Eric Lander. Lander ist der gefeierte Denker der Humangenetik. Er leitet außerdem das Broad Institute am MIT (Massachusetts Institute of Technology). In seinem Klappentext bekräftigt Lander die "Geheimnis des Lebens" Metapher. Etwas tiefer auf seinem Jackett sieht man die Genetik-Professorin Mary-Claire King. Sie schreibt: "Das ist die Geschichte der DNA und deshalb auch die Geschichte von Leben, Vergangenheit, Sex, Geld, Drogen und noch zu entschlüsselnden Geheimnissen." Prof. King schreibt, DNA ist Leben.
Watsons Auffassung der Genetik dominiert auch die Ausbildung. Das in amerikanischen weiterführenden Schulen verwendete Standardwerk der Biologie "Leben", von welchem wir die Ausgabe von 1997 besitzen, richtet die gesamte Biologie nach der DNA aus, wodurch diese den biochemischen Status erhält, Kernstück des Lebens zu sein.
Francis Collins, langjähriger Leiter des National Institute of Health, hat mittlerweile ebenfalls DNA Bestseller mit Titeln wie, Die Sprache des Lebens und Die Sprache von Gott veröffentlicht. So wundert es niemand, daß die Vorstellung der DNA als Hauptmolekül des Lebens eine der dominanten Ideen unseres Zeitalters ist.
Einige Biologen werden sagen, daß diese Ansichten extrem und nicht repräsentativ sind. So ist es und ein Teil dieses Artikels wird erklären, warum extreme Ansichten über die DNA den öffentlichen Diskurs bestimmen. Sein Hauptzweck ist es jedoch, das DNA-Bild von nahezu allen Biologen mit dem verengten Forschungsblick zu konfrontieren, mit welchem sie auf andere Biomoleküle schauen. Unsere Existenz ist genauso auf Proteine, Fette, Kohlenhydrate und RNA (Ribonukleinsäure) angewiesen; aber niemand sagt, "es liegt in meinen Proteinen". Doch die Frage bleibt: ist es weniger absurd zu sagen, etwas "ist in meiner DNA"?
Deshalb ist es der Zweck dieses Artikels, auf diese Frage einen schonungslosen Blick zu werfen. Spricht überhaupt etwas für die Kontrollfunktion der DNA? Oder dafür, im Zentrum der biologischen Organisation des Lebens zu stehen?
Die Antwort lautet, daß die DNA nichts von dem ist, was Watson, Lander und Collins behaupten und daß selbst ein nuancierter Blick der Schulbiologie auf das Leben falsch ist. Das ist vielfach belegbar, hauptsächlich aber durch eine neue Wissenschaft des Lebens, die mehr oder weniger aus dem völligen Nichts auftaucht. Diese neue Wissenschaft erklärt die Eigenschaften von Lebewesen auf eine produktive neue Art, zu welcher eine DNA-zentrierte, genetisch deterministische Biologie weder in der Lage war noch ist. Die DNA ist nicht die Sprache von Gott. Sie ist nicht einmal die Sprache der Biologie.
Organismen sind Systeme
Der Beleg, daß die DNA keine biologische Steuerungseinheit ist, fängt mit der Tatsache an, daß biologische Organismen komplexe Systeme sind. Außerhalb der Biologie, wenn wir beliebige komplexe Systeme untersuchen, etwa das Klima, Computer oder die Ökonomie, würden wir normalerweise nicht fragen, ob eine Komponente alle anderen beherrscht. Für uns ist es offensichtlich, daß sich komplexe Systeme aus Subsystemen zusammensetzen, von denen jedes für das größere Ganze notwendig ist. Jedes Subsystem hat seine eigene Nische, doch kein Subsystem übt eine privilegierte Kausalität aus.Das Gleiche gilt auch für lebende Organismen. Wenn es um die Physiologie eines individuellen Organismus geht, messen wird dem Herzen, der Leber, der Haut oder dem Gehirn keine exklusive oder besonders kausative Rolle zu, da der Körper ein System ist. Alle Teile sind notwendig.
Auch auf der kleinteiligeren biologischen Ebene der Organe gibt es verschiedene Zelltypen, die sich am Leben halten, ihre Arbeit erledigen, sich und andere reparieren. Genauso streitet niemand ab, daß auf zellulärer Ebene Organellen und andere molekulare Strukturen interagierende aber unabhängige Teileinheiten des Ganzen darstellen.
Auf der Ebene der Makromoleküle geschieht jedoch etwas Kurioses. Biologen geben das Denken in Systembegriffen vollständig auf. Stattdessen wenden wir das berühmte DNA-zentrische Dogma der Biologie an, nach welchen die DNA die RNA und die RNA Protein erzeugt (Crick, 1970)[PDF-Link]. Dieses Konzept führt zu einer Evolutionsgeschichte, die mit der DNA anfängt.
Der erste Fehler des Dogmas ist es jedoch, von etwas "Zentralem" zu sprechen. Wenn ein Organismus ein System ist, gibt es kein Zentrum. Der zweite Fehler ist, daß der beschriebene Vorgang faktisch nicht korrekt ist. Der Vorgang sollte als Schleife beschrieben werden, da die DNA nicht aus dem Nirgendwo kommt: die Herstellung jedes DNA-Moleküls benötigt Proteine, RNA und DNA. Oder allgemeiner ausgedrückt, die DNA-Synthese kann nicht ohne eine komplette Zelle stattfinden, genauso wie die Herstellung jeglicher RNA oder irgend eines Proteins eine komplette Zelle voraussetzt.
Wenn wir noch genauer sein wollten, würde wir sagen, ein kompletter Organismus ist erforderlich, um jede einzelne dieser Komponenten herzustellen. Selbst diese Beschreibung wäre unvollständig, da nicht zu leugnen ist, daß ein Ökosystem von Nöten ist, zu welchem im Falle des Menschen das Mikrobiom im Darm und die Nahrungsversorgung gehören. Eine vervollständigte Beschreibung des DNA-zentrischen Dogmas wäre deshalb eine in einem Netzwerk eingebettete Schleife. Doch das DNA-zentrische Dogma, das jedes Jahr Millionen von Schülern beigebracht wird, geht einen völlig anderen intellektuellen Weg. Rein willkürlich verleiht es der DNA einen besonderen Platz: erstens, indem die Schleife nicht geschlossen wird, zweitens, indem die DNA an ihren Anfang gesetzt wird. Das zentrische Dogma ist deshalb lediglich eine Darstellung, die von willkürlich konstruierten Abgrenzungen abgeleitet wird. Es hat nichts mit biologischer Realität zu tun.
Genetiker und manchmal auch andere Biologen, verleihen dieser linearen Interpretation nicht durch Experimente Plausibilität, da deren Resultate ihr widersprechen, sondern indem sie äußerst aktive Verben benutzen, wenn sie von DNA sprechen. Nach ihrer Ansicht "kontrolliert", "verwaltet" und "reguliert" die DNA zelluläre Prozesse, während Substantive wie "Genexpression" ebenfalls sehr häufig benutzt werden, um der DNA Funktionen zuzuschreiben. Auf diese Weise verleihen Biologen der DNA Überkräfte, die durch Aktivität und Willen gekennzeichnet sind. In letzter Konsequenz kann dies zu Zirkelschlüssen führen. Die DNA kontrolliert die embryonale Entwicklung oder die Gesundheit des Organismus, weil Gene sich selber exprimieren. QED [quod erat demonstrandum (lat. was zu zeigen war)]
Es gibt jedoch diesbezüglich keine Forschungsergebnisse die zeigen, daß die DNA so eine dominante Rolle spielt, wie sie diese Formulierungen nahe legen. Eher trifft das Gegenteil zu. Beispielsweise postulierte eine neuere Publikation im Nature-Magazin "einen wachsenden Konsens, daß die meisten Protein-Bestandteile einer Zelle gegen transkriptionale Veränderungen gepuffert sind". In anderen Worten, sie sind gegenüber einem direkten genetisch quantitativen Einfluß isoliert. (Chick et al., 2016). Diese Pufferung wird in vielen Experimenten wunderbar demonstriert. Eines davon ist der Nachweis, daß der zirkadische Rhythmus eines Bakteriums in Abwesenheit jeglicher DNA reproduziert werden kann, indem einfach drei Proteine in einem Reagenzglas zusammen gemischt werden. Der Rhythmus wurde drei Tage lang, selbst unter dem Einfluß von Temperaturschwankungen, aufrecht erhalten (Nakajima et al., 2005)[PDF-Link].
Leider wird jede zur Beschreibung von DNA benutzte Sprache notwendigerweise metaphorisch und von eingeschränkter Präzision gekennzeichnet sein, doch Worte wie "verwalten" und "kontrollieren" erfinden im wahrsten Sinne des Wortes DNA-Eigenschaften (Noble, 2003). Eine besser zutreffende Metapher für die DNA würde diese mit der Library of Congress vergleichen, da die DNA den Zellen in erster Linie als Informationsspeicher dient. Stellen Sie sich vor, Biologen könnten neutralere Verben wie "benutzen" verwenden, wie etwa "Zellen benutzen die DNA, um Proteine herzustellen". Damit hätten sie der DNA einen ganz anderen Status zugedacht. Nur Mitarbeiter von Bibliotheken trügen T-Shirts mit der Aufschrift, "Es liegt in meiner DNA".
Wenn wir die wilden Metaphern und das DNA-zentrische Dogma hinter uns lassen, öffnet sich ein akkurateres Verständnis der Biologie. Wenn jedes Molekül und jedes Subsystem unabhängig von seiner Größe andere Teile bremst oder verstärkt, dann ist es nicht nötig, eine zentrale Kontrolle zu vermuten. Wir können das DNA-zentrische Modell der Biologie durch ein relationales Modell aus dem komplexen Zusammenspiel von Feedback-Systemen und emergierenden [daraus resultierenden] Eigenschaften ersetzen, von dem die DNA-Bibliothek nur eine Komponente ist. In diesem Modell ist die RNA einfach nur eine der Zutaten die benötigt wird, um Proteine und DNA herzustellen, nur ein Input der nötig ist, um RNA zu erzeugen usw. Anders als das DNA-zentrische Dogma stimmt, so ein Theorem mit den bekannten Fakten der Biologie überein.
Die im DNA-zentrischen Dogma und in den Biologie-Lehrbüchern eingekapselte Formlierung ist deshalb eine Illusion. Dies stellt einen klassischen Fall von dem dar, was der Mikrobiologe Carl Woes "reduktionistischer Fundamentalismus" nannte. Der reduktionistische Fundamentalismus unterscheidet sich vom einfachen Reduktionismus, indem der einfache Reduktionismus zwar eine gültige wissenschaftliche Methode ist, wohingegen der reduktionistische Fundamentalismus eine ideologisch begründete Vorliebe für äußerst einfache Erklärungen darstellt, obwohl eine ganzheitlichere Erklärung von den Forschungsergebnissen besser gestützt wird. In diesem Fall heißt das, der DNA Überkräfte zuzuordnen, um beobachtete biologische Aktivitäten zu erklären, während eine bessere Erklärung akzeptieren würde, daß es bei vielen biochemischen Vorgängen mehrere Ursachen und Mitwirkende gibt. Der Oxforder Physiologe Denis Noble [s.o.] beschreibt diesen Trugschluß als, der DNA ein "privilegiertes Niveau der Kausalität" zu übertragen.
Gibt es ein "Molekül des Lebens", wenn es nicht die DNA ist?
Viele Viren die Pflanzen infizieren haben keine DNA. Ihr Lebenszyklus basiert auf Protein und sie benutzen RNA als ihr vererbbares Material.Es gibt auch Pflanzenpathogene, Viroide genannt, denen beides fehlt, DNA und Protein. Viroide bestehen somit lediglich aus nicht kodierender RNA. Lebensformen können also entweder ohne DNA oder Proteine existieren, aber es gibt keine ohne RNA.
Die Antwort auf die zu Beginn gestellte Frage, welches Biomolekül in allen Lebewesen vorkommt, lautet deshalb RNA. RNA steht für Ribonukleinsäure und aus vielen Gründen ist sie ein besserer Kandidat als DNA, um als universales Biomolekül zu gelten.
RNA und DNA ähneln sich chemisch sehr. Sogar Wissenschaftler verwechseln sie. Doch ihre moderaten chemischen Unterschiede geben ihnen sehr verschiedene Eigenschaften. Die RNA ist strukturell sehr flexibel (biegsam), während die DNA hochgradig unflexibel ist; die RNA ist instablil und chemisch reaktiv, während die DNA sehr inert [reaktionsträge] ist. Ein Hauptunterschied ist die Anzahl der chemischen Veränderungen, die Zellen an ihren vier Basen vornehmen können. In Falle der DNA (welche die Nukleotide A, C, G und T als Basen besitzt), sind in den meisten Zellen gerade mal zwei Modifikationen möglich. Diese Modifikationen werden Methylierung und Acetylierung genannt. Diese zwei Modifikationen verändern die Eigenschaften der DNA-Basen und sie sind das Hauptfundament der modernen Wissenschaft der Epigenetik.
Die RNA besitzt auch vier Basen (A, C, G, und U). Aber Zellen nehmen über hundert unterscheidbare chemische Veränderungen an ihnen vor. Der Sinn und Zweck dieser Modifikationen ist im Grunde ein Mysterium. Vermutlich helfen sie der RNA, ihre zahlreichen zellularen Aufgaben auszuführen.
Die RNA wird ebenfalls fehlgedeutet. In einer typischen menschlichen Zelle stellt weniger als 1% von ihr Proteine her. Die verbleibenden 99% haben eine Vielzahl von strukturellen, regulierenden und enzymatischen Aufgaben. Doch die meisten Biologen sind möglicherweise genau so Sklaven des DNA-zentrischen Dogmas, indem sie denken, die RNA wäre nur ein Zwischending zwischen DNA und Protein. Erst in letzter Zeit begann die RNA, sich als das weitaus interessantere Molekül aus dem Schatten der DNA zu lösen.
Im Kern erklären sich diese molekularen Differenzen dadurch, daß die RNA lange vor der DNA existierte. Die RNA ist wahrscheinlich sogar älter als die Erfindung der Zellen. Sie ist außerordentlich alt. Infolgedessen ist sie derart tief und strukturell mit lebenden Systemen verwoben, daß es sehr schwierig ist, sie zu untersuchen. Deshalb besteht der paradoxe Grund, weshalb wir nicht viel über die RNA wissen, nicht darin, daß sie unbedeutend wäre, sondern darin, daß im Gegensatz zur DNA die RNA für die Zellfunktion zu wichtig ist, um sie willkürlich selektiv zu separieren.
Konsequenterweise, in Übereinstimmung mit dem aktuellen evolutionären Wissenstand, sollten wir tatsächlich die allgemeine Lehre neu orientieren und darauf bestehen, daß das korrekte Verständnis der DNA darin besteht, sie als eine spezialisierte Form der RNA zu begreifen. Die DNA entwickelte strukturelle Festigkeit und chemische Inaktivität, um sich dadurch zu einem seriöseren Bibliothekar zu machen, dem die sichere Lagerung von vererbbarer Information anvertraut werden konnte.
So wurde im Zuge der Evolution die DNA als der bessere Bibliothekar ausgewählt (diese bibliothekarische Metapher stammt von Colin Tudge und seinem ausgezeichneten Buch Why DNA isn’t selfish and people are nice) [Warum die DNA nicht egoistisch ist und Menschen nett sind]; Proteine stellten sich als überlegene Katalysatoren chemischer Reaktionen heraus; aber die RNA scheint eher das Biomolekül gewesen zu sein, um das herum das Leben wirklich entwickelt wurde. Doch die RNA ist genau so wenig eine Kontrolleinheit, wie es die DNA ist.
Genau so wenig ist die DNA der Mittelpunkt der Evolution
Eine gängige Erklärung, weshalb die Biologie um die DNA herum organisiert wird, auch just jene, die von den Autoren des Lehrbuches Leben gegeben wird, ist die Rolle, die der DNA in der Evolutionstheorie zugeschrieben wird. Aus zwei Gründen ist diese Erklärung jedoch äußerst fragwürdig. Beide sind Beispiele weitverbreiteter Mißverständnisse der Evolutionstheorie. Eines dieser Mißverständnisse übertreibt die Bedeutung von Darwins Theorie, und das zweite weist der DNA wieder einmal einen Verdienst zu, der ihr nicht gebührt.Das erste Mißverständnis ist die Annahme, die Evolutionstheorie wäre eine Erklärung des Lebens. Das Leben fing jedoch lange vor der Darwin'schen Evolution an und einige ihrer grundlegenden Muster (Zellen, Proteine, Energiestoffwechsel) entstanden, soweit wir das sagen können, lange bevor die DNA das Molekül der Vererbung wurde (Carter, 2016). Diese Unterscheidung ist bedeutend. Beispielsweise ist es in einem Lehrbuch über das Leben wichtig, den Ursprung des Lebens von dessen Aufrechterhaltung zu unterscheiden, um nicht das was Darwins Therorie erklärt, wenig hilfreich zu übertreiben (im Grunde sogar durcheinander zu bringen); doch indem beides vermengt wird, spiegelt Leben lediglich die Mißverständnisse der meisten Biologen wieder.
Zum anderen entstanden das prä-Darwin'sche Leben der Zellen und der Stoffwechsel Dank der Tatsache, daß komplexe Systeme emergierende und selbstorganisierende Eigenschaften besitzen (z.B. Kauffman, 1993; Carter, 2016). Der Einzug der DNA in solche Systeme ermöglichte eine Beschleunigung der Darwin'schen Evolution, löschte aber emergierende und selbstorganisierende Eigenschaften nicht aus. Eher kollaborierte die DNA mit ihnen und half, neue zu generieren. Dies bedeutet, solche Eigenschaften sind die wahrscheinlichste Erklärung für große Bereiche der Biologie. Mit "Die Selbstorganisation schlägt vor, was die natürliche Selektion verwirft" haben Batten und Kollegen auf originelle Weise Alternativen zur Standard-Evolutionstheorie zusammengefaßt, die auf äußerst rigide Weise genetisch deterministisch ist (Batten et al., 2008)[PDF-Link].
Eine klassische emergierende Eigenschaft ist die Faltung von Proteinen. Die DNA kodiert die lineare Abfolge [Sequenz] von Aminosäuren, die dem Bauplan der Proteine entspricht, doch jedes Protein nimmt eine, oder gewöhnlich mehrere, hoch komplexe dreidimensionale Formen an (Munson et al., 1996)[PDF-Link]. Diese Formen sind zusammen mit Ladung und Löslichkeit weitgehend für die Eigenschaften eines Proteins verantwortlich. Gewohnheitsmäßig, aber nachlässig, wird angenommen, daß die DNA alle notwendigen Informationen liefert, die zur Bildung eines Proteins benötigt werden, doch dies entspricht nicht der Wahrheit. Alle Protein-Formen hängen zusätzlich von der Einbeziehung vieler Informationsquellen ab. Zu diesen Informationsquellen gehören Temperatur, andere zelluläre Moleküle wie Wasser und mineralische Ionen, pH-Wert, Energiemoleküle wie ATP [Adenosintriphosphat], Protein-faltende Säuren, molekulare Chaperone [Begleiter] genannt, und viele andere. Darüber hinaus besitzen viele Proteine Funktionen, wie z.B. als molekulare Kanäle und Pumpen, die nur auf einer höheren Strukturebene in Erscheinung treten, z.B. in der Gegenwart anderer Proteine.
Deshalb bestimmt die DNA Proteine und ihre Funktion nur in einem sehr geringen Umfang. Es ist möglich, alle diese nicht genetischen Faktoren zu mißachten und der DNA alle Eigenschaften eines Proteins oder eines Prozesses (oder eines ganzen Organismus) zuzuschreiben. Die meisten Wissenschaftler tun dies, doch dies zu tun ist eine ultra-deterministische Einstellung. In ihrer Beschreibung, wie das Leben funktioniert, unterschlägt sie emergierende Eigenschaften, wie z.B. Proteinfaltung. Und wieder verleiht sie der DNA Superkräfte, die diese nicht hat.
Emergierende Eigenschaften sind nur ein Beispiel, warum der Zusammenhang zwischen DNA und Evolution sehr viel dürftiger ist, als üblicherweise dargestellt wird. Patrick Bateson von der Cambridge University, der sich nicht mit emergierenden Eigenschaften, sondern mit dem Verhalten von Tieren befaßt, hat die Evolution sehr viel treffender als die meisten erklärt, als er schrieb: "Ganze Organismen überleben und reproduzieren auf unterschiedliche Weise und die Gewinner nehmen ihre Erbmasse mit. Das ist die Maschine der Darwin'schen Evolution."[PDF-Link]
Nun können wir erklären, warum Charles Darwin seine Evolutionstheorie erfand, ohne von der Existenz der DNA zu wissen, da selbst für die Evolution die DNA nicht "das ultimativ Große" ist, doch für Biologen gehört es zum Stand der Wissenschaft, daß die DNA für die Evolution bedeutender ist, als jeder andere Bestandteil lebender Organismen.
Die genozentrische Biologie [kurz] erklärt
Als sich Dorothy nach Emerald City begab, entdeckte sie, daß der Wizard of Oz nur ein "gewöhnlicher Mensch" war. Er besaß keine Zauberkräfte und konnte deshalb ihren Freunden nicht helfen. Doch es gab zumindest etwas hinter der Fassade. Das Gleiche trifft für die DNA zu.Die meisten zellularen Moleküle sind hoch reaktive und kurzlebige chemische Substanzen. Das bedeutet, es ist schwierig sie zu extrahieren und nicht einfach sie zu untersuchen. So verhält es sich mit RNA und Proteinen.
Die DNA hingegen, ist ein sehr viel praktischerer Ansatz in die Biologie einzugreifen. Sie ist beständig und robust und einfach genug, um auf einer reproduzierbaren Basis isoliert und kopiert zu werden. Nach einem Training von einer Stunde, können Schüler an höheren Schulen dies tun. Mit etwas mehr Training, kann DNA verändert und in einigen Spezies sogar ersetzt werden. Deshalb schrillen die Alarmglocken wegen drohendem Garagen-Hacking von DNA.
Dies erklärt in aller Kürze, weshalb unser Wissen über Gen-regulatorische Netzwerke unserem Wissen in anderen Disziplinen der Biologie weit voraus ist. Dies ist so, weil die DNA die niedrig hängende Frucht der Biologie ist.
Wissenschaftlicher Dissens um die DNA
"Der menschliche Körper tauscht die Materie aus welcher er besteht ungefähr alle acht Wochen durch Stoffwechsel, Replikation und Reparatur komplett aus. Dennoch sind wir immer noch wer wir sind - mit allen unseren Erinnerungen, unserer Persönlichkeit... Wenn die Wissenschaft darauf besteht, Partikel zu jagen, wird sie ihnen mitten durch den Organismus folgen und den Organismus völlig verfehlen." Der Biomathematiker Robert Rosen soll dies gesagt haben. Und in der Tat, wenn wir einen vielzelligen Organismus untersuchen, finden wir unter seiner relativ ruhigen Oberfläche zirkulierende Systeme, knetende Mägen, lymphische Drainagesysteme, elektrische Impulse, biomolekulare Maschinen etc.Diese Systeme versetzen jeden Teil eines Organismus kontinuierlich in Bewegung, Kontraktion, Drehung, Vibration, Teilung und Wachstum. Was lebende Organismen letztendlich definiert, ist ihre Dynamik und ihre belebte Natur. Aus diesem Grunde untersuchen wir nicht seine DNA, wenn wir feststellen wollen, ob ein Organismus im juristische Sinne gestorben ist. Wir messen seinen Herzschlag oder seine Hirnfunktion. Das Lebendigsein erfordert lebende Komponenten wie RNA und Proteine.
Doch indem sie unseren Wissenstand über das Leben weitgehend um die DNA herum organisieren (erinnern wir uns an Mary-Claire Kings "DNA ist Leben"), haben Biologen kurioserweise jenen Zellbestandteil ausgewählt, der wahrscheinlich am allerwenigsten Repräsentant der dynamischen Natur des Lebens ist.
Aus diesem Grunde gibt es Dissidenten in der Biologie. Einige sind prominent, andere nicht. Alle haben gefragt, ob die Biologie nicht viel komplexer und interessanter als das ist, was unser derzeitiger DNA-basierter Tunnelblick zuläßt (z.B. Kaufman, 1993; Strohman, 1997[PDF-Link]; Rose, 1999; Woese 2004; Annila and Baverstock 2014; Friston et al., 2015).
Diese Dissidenten weisen zum Beispiel gerne auf die generelle Abwesenheit von medizinwissenschaftlichen Durchbrüchen im Anschluß an die Sequenzierung des menschlichen Erbgutes hin und nach der immer-detaillierteren-Analyse-von-winzigen-Schnipseln-der-menschlichen-DNA (Ioannidis, 2007; Dermitzakis and Clark, 2009; Manolio et al., 2009).
Einige gehen mit ihren Kritiken weiter als andere. Carl Woese, vielleicht der bekannteste Bakteriologe seit Pasteur, argumentierte vor seinen Tod, daß der genetische Determinismus eine Sackgasse ist, seine Vision der Biologie ist "verbraucht" (Woese, 2004).
Es gibt u.U. kein köstlicheres Beispiel dafür, als das Gebiet der Gewebezüchtung. Gewebebiologen haben wie sie sagen "unglaubliche" Fortschritte gemacht, komplette menschliche Organe in vitro für Transplantations- und andere Zwecke zu züchten, dennoch sind alle diese Organe nicht funktional (Badylak, 2016). Sie haben keine Gefäße, Immunsysteme oder Nerven-Netzwerke, sie sind nicht mehr als menschliche Zellen auf Ohr- oder Hand-förmigen Gerüsten. Deshalb sind sie, neben vielen anderen Defiziten kurzlebig, da sie keine regenerativen Eigenschaften besitzen.
Vielen Biologen kommt dieses Paradigma-Problem zumindest teilweise verdächtig vor, aber sie handeln selten danach. Die einzige wahrnehmbare offizielle Reaktion auf die offensichtliche Tatsache, daß Organismen hoch komplexe Systeme sind, bestand darin, bescheidene Finanzmittel der 'Systembiologie' zukommen zu lassen.
Dazu muß angemerkt werden, daß selbst diese Systembiologie selten die Erforschung von Systemen zum Inhalt hat. Stattdessen haben Biologen Mittel für die Systembiologie durchweg dafür benutzt, nicht das Wissen über komplexe Systeme voran zu treiben, sondern ihren Reduktionismus weiter auszubauen und zu mechanisieren.
Deshalb hat keine wissenschaftliche Fachrichtung oder Institution die grundlegende Unzulänglichkeit der Sichtweise von Organismen als Ansammlung von Gen-regulatorischen Netzwerken zum Ausdruck gebracht oder Anstrengungen unternommen, ein alternatives Paradigma (oder Paradigmen) zu erarbeiten, um sie zu ersetzen (Strohman, 1997)[PDF-Link].
Dieses intellektuelle Beinahe-Vakuum wird nichtsdestotrotz beständig von individuellen oft aus Randbereichen stammenden Wissenschaftlern mit vielversprechenden, sogar revolutionären theoretischen Entwicklungen und Studienergebnissen gefüllt, die biologische Phänomene mit über die Genetik hinausgehenden Methoden erklären.
Eine kurze Einführung in alternative Paradigmen des Lebens
Eine Helmhholtz Maschine ist ein sensorisches Gerät, das Prognosen über die Wirklichkeit macht und diese mit der Wirklichkeit vergleicht. Dann schätzt sie die Differenz zwischen den beiden ab. Bayes'sche Statistik ist eine mathematische Methode, das Gleiche zu tun: die Differenz zwischen Erwartung und Realität abzuschätzen.Eine neue Theorie der Neurobiologie namens Bayes'sche Hirntheorie sagt voraus, daß das Gehirn das biologische Äquivalent davon ist (rezensiert in Clark, 2013)[PDF-Link]. Gehirne machen Voraussagen, messen die Diskrepanz mit ihren Erwartungen und geben diese Fehleinschätzungen an höhere neurale Schaltkreise weiter. Diese höheren Schaltkreise wiederholen den Vorgang und wenn die Diskrepanz weiter besteht, werden diese an noch "höhere" mentale Ebenen weitergegeben.
Die Bayes'sche Hirnhypothese ist recht neu und voraussagende Neuronen mögen vordergründig unwahrscheinlich erscheinen, doch die Hypothese scheint etliche Aspekte der Hirnstruktur und der Hirnfunktion zu erklären; zum Beispiel, wie das Gehirn völlig verschiedene Stimuli (visuelle, sensorische, orale, aurale, etc.) im wesentlichen mit den gleichen neuralen Mechanismen und Strukturen verarbeiten kann. Es scheint aufzuzeigen, wie das Gehirn Aktion und Wahrnehmung miteinander verknüpfen kann. Die Theorie bietet auch eine substantielle Erklärung des Lernens: Lernen bedeutet, das voraussagende Modell auf den neusten Stand zu bringen. Die Bayes'sche Hirnhypothese könnte sogar erklären, wie Gehirne im Verlauf der Evolution höhere Ebenen des Bewußtseins entwickelt haben: indem weitere voraussagende Schichten hinzugefügt wurden.
Eine besondere Stärke der Bayes'schen Hirnhypothese ist, daß sie der tatsächlichen räumlichen Organisation von Neuronen im Cortex von Primaten entspricht, in der Reihen von "prediktiven" und "sensorischen" Neuronen Signale in entgegengesetzte Richtungen senden, was ihnen ermöglicht, sich gegenseitig auf Null zu stellen (mit Ausnahme der Diskrepanzen).
Das Struktur-basierte prediktive Lernsystem, das von der Bayes'schen Hirnhypothese entworfen wird, ist hier von Interesse, da es detaillierte genetische Erklärungen vieler Phänomene, wozu wohl jegliches Bewußtsein gehört, beiseite schiebt (Friston, 2010)[PDF-Link]. Gene und Proteine mögen Details erklären, doch viele Hauptelemente der Hirnfunktion: Lernen, Agieren und Wahrnehmung, leiten sich in erster Linie nur von Strukturen ab. Im Wesentlichen mit der Proteinfaltung vergleichbar, sind sie emergierende Eigenschaften der Organisation.
Emergierende Eigenschaften sind in anderen Bereichen der Biologie genau so bedeutsam. Ein Beispiel ist das Gefäßsystem der Pflanzen. Bäume können Wasser aus nicht gesättigten Quellen in Höhen weit über 100 Meter transportieren. Dies nennt man Transpiration[ssog], wozu keine Energie benötigt wird. Vielmehr nutzt dieser Vorgang die rein physikalischen Eigenschaften des hydrophilen Xylem-Gewebes (Leitgewebe) und die Eigenschaften des Wassers selbst. Ohne Transpiration, die sogar im Boden wenn auch nur sehr schwach funktioniert, können Pflanzen nur ein paar Zentimeter Höhe erreichen und auch keine trockenen Bedingungen tolerieren (Wheeler and Stroock, 2008). So gehört (abgesehen von der Fotosynthese) deren pfiffige Ausnutzung einer einfachen physikalischen Eigenschaft von Wasser zu den bestimmenden Charakteristiken von Pflanzen.
Ein weiteres Beispiel sind die Bögen des menschlichen Fußes. Es handelt sich um Längs- und Quermembranen aus Knochen und Bindegewebe, deren emergierende Eigenschaft sowohl darin besteht, die Kräfte beim Aufprall zu verteilen, als auch als Feder zu wirken, um die Energie des Aufpralls in eine Vorwärtsbewegung umzuwandeln. Bögen reduzieren die Energie, die zum Gehen oder schnell Laufen erforderlich ist.
Eine neue Entwicklung im Fach der Biochemie ist die prognostizierte Existenz von Metabolonen. Metabolone sind dreidimensionale räumliche Anordnungen von Enzymen. Metabolone erklären, wie das Produkt eines scheinbar unbedeutenden Stoffwechselvorganges trotzdem 30% des Gewichtes eines Sämlings ausmachen und somit Schädlinge vertreiben kann (Laursen et al., 2017)[PDF-Link].
Eine gängigere Klasse von selbstorganisierenden Eigenschaften in der Biologie sind homöostatische [selbststabilisierende] Feedback-Schleifen. Auch sie sind weitgehend von Genfunktionen unabhängige Phänomene, die für die Erklärung von Aktivitäten und Eigenschaften lebendiger Organismen von größter Bedeutung sind. Die drei zuvor erwähnten Proteine, die einen bakteriellen zirkadischen Rhythmus nachbilden können, sind ein Beispiel dafür (Nakajima et al., 2005).
Auf eine elementarere und universellere Ebene des Lebens beziehen sich nicht kontroverse Theorien über Zellen und Stoffwechsel, von denen viele das Leben an das Wirken fundamentaler physikalischer Kräfte knüpfen. Der Vater aller dieser Theorien war wohl Nicolas Rashevsky, der 1972 starb. Die Schüler Robert Rosen und AH Louie überlebten ihn. Desweiteren der Physiker Erwin Schrödinger, Autor von "What is life?" [Was ist Leben?]; Stuart Kauffman, Autor von "The Origins of Order" (1993) [Die Ursprünge der Ordnung]; Steven Rose "Lifelines: Biology beyond determinism" (1997) [Lebensverläufe: Biologie jenseits von Determinismus]; Enrico Coen "The Art of Genes" (1999) [Die Kunstfertigkeit der Gene]; Denis Noble, "The Music of Life" (2003) [Die Musik des Lebens] und Dance to the Tune of Life: Biological Relativity (2017) [Tanz zur Melodie des Lebens: Biologische Relativität]; sowie Annila und Baverstock, nach deren Ansicht das Leben zwangsläufig Resultat des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik ist (Annila and Baverstock, 2014; siehe auch Friston et al., 2015). Diese und andere nicht erwähnte Denker haben sehr viel potentielles Rohmaterial für eine wissenschaftliche Revolution zusammen getragen. Eine, welche das Konstrukt von Gen-regulatorischen Netzwerken weit hinter sich läßt.
Das Beste, zu dem alle diese Theorien gelangen könnten, um den genetischen Determinismus als Konzept des Lebens definitiv als ungültig zu erklären, wäre jedoch eine Theorie von Ursprung des Lebens, die den Stoffwechsel in den Mittelpunkt stellt.
Die Leser mögen mit dem Konzept der RNA-Welt vertraut sein, von welcher man annimmt, daß sie der vermeintlich "modernen DNA-Welt" voraus ging. Doch überzeugender als die RNA-Welt, für die es nur wenige Belege gibt, ist eine neue Theorie. Die Peptid-RNA Welt.
Das Hauptargument für die Peptid-RNA Ursprungsthese (Carter, 2016) ist, daß das Enzym (namens Aminoacyl-tRNA-Synthetase) welches mittlerweile die RNA an Proteine koppelt - und somit die RNA-Welt mit der Protein-Welt verbindet - in zwei Grundformen (in allen Organismen) vorkommt. Der evolutionäre Ursprung dieser zwei Formen (Klasse I und Klasse II Enzyme) ist jedoch merkwürdig unvereinbar. Klasse I und II Moleküle führen fast identische Aufgaben aus (jedoch mit verschiedenen Aminosäuren) und haben dennoch strukturell nichts gemeinsam. Außer das eine. Ihre am besten bewahrte Aminosäure, jene in ihrem aktiven katalytischen Zentrum, kann von entgegengesetzten Strängen des selben kleinen RNA-Moleküls abgeleitet werden (Carter 2016). Anders gesagt, die zwei Proteine, die es der RNA erlauben, alle modernen Proteine herzustellen, werden von den entgegengesetzten Strängen eines einzigen sehr primitiven kleinen RNA-Moleküls abgeleitet, das beide kodiert hat.
Die Schlußfolgerung aus dieser wichtigen Beobachtung stellt einen engen Zusammenhang zwischen Stoffwechsel und Replikation in einem sehr frühen Stadium der Entstehung des Lebens her. Die RNA baute primitive Proteine zusammen, deren Zweck die Katalyse war, hauptsächlich, um den Stoffwechsel zu steuern und zu vervollkommnen. Was die Peptid-RNA Ursprungsthese also macht ist, die RNA-Welt - die eine `die Replikation war zuerst da` Theorie ist - durch eine `der Stoffwechsel war zuerst da` Theorie zu ersetzen, in welcher die RNA einen Stoffwechsel verbesserte, der bereits vor ihr existierte.
DNA und Politik
"Die Humanbiologie ist tatsächlich sehr viel komplizierter, als wir sie uns vorstellen. Alle Leute sprechen über die Gene, die sie von ihrer Mutter und ihrem Vater für diese oder jene Eigenart bekommen haben. Doch in Wirklichkeit haben diese Gene sehr geringen Einfluß auf den Lebenserfolg. Unsere Biologie ist dafür viel zu kompliziert, hundert Tausende von Faktoren spielen eine Rolle. Gene sind absolut nicht unser Schicksal. Sie können uns nützliche Informationen über ein erhöhtes Risiko einer Erkrankung liefern, doch in den meisten Fällen werden sie nicht die tatsächliche Ursache der Krankheit oder die tatsächliche Erkankung von jemand bestimmen. Das meiste in der Biologie hat etwas mit dem komplexen Zusammenspiel all der Proteine und Zellen zu tun, die mit Umweltfaktoren arbeiten und nicht direkt vom genetischen Code gesteuert werden." (Anand et al., 2008)Dieses gesprochene (aber nicht geschriebene) Zitat von Craig Venter, dem legendären Erbgut-Sequenzierer, legt nahe, daß sogar viele Genetiker insgeheim einen deutlichen Bedarf an alternativen Paradigmen sehen.
Zugleich wirft Venters Zitat eine grundlegende Frage auf: Wie kommt es, wenn Organismen die Hauptobjekte der biologischen Forschung sind, und wenn die Standard-Erklärung von deren Ursprung und Funktionieren wissenschaftlich derart schwach ist, daß sie der DNA imaginäre Superkräfte von "Expression" und "Kontrolle" verleihen muß, um die Risse zu verkleistern, daß Wissenschaftler trotzdem an ihr festhalten?
Weshalb ist es so, daß man stattdessen nicht Rashevsky, Kauffman, Noble, et al. als Pioniere notwendiger und potentiell nutzbringender und vereinender Paradigmen feiert und in sie investiert, wurden diese Forscher von der Mainstream-Biologie ignoriert?
Worin besteht die große Anziehungskraft des genetischen Determinismus?
Es gibt eine überzeugende und nicht intuitive Erklärung für die Monomanie der Biologie. Sie wird in einem zweiten noch folgenden Artikel dargelegt: Die Bedeutung des Lebens. Es ist eine Erklärung, für die man die Augenwischerei der Wissenschaft durchblicken und ihre aktive und symbiotische Beziehung zur Macht in modernen politischen Systemen analysieren muß.
Referenzen:
Anand et al (2008) Cancer is a Preventable Disease that Requires Major Lifestyle Changes. Pharm Research 25: 2097–2116.
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Der Original-Artikel Genetics Is Giving Way to a New Science of Life wurde vom Autor unter der Creative Commons Lizenz CC: BY-NC-ND (Namensnennung, keine kommerzielle Verwendung, keine abgewandelten Werke) veröffentlicht. Abweichend davon hat er mir eine Übersetzung gestattet, wofür ich mich recht herzlich bedanke. Das Recht an dieser Übersetzung verbleibt beim Autor. Für diese Übersetzung gilt das Lizenzmodell dieses Blogs ausdrücklich nicht!
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