Initiative Pro Netzneutralität

Können Hebammen die Weltrevolution auslösen?

23. Mai 2010 20:34

Es mag sein, daß viele nach den Erfahrung mit der Petition gegen Zensursulas Stoppschilder enttäuscht sind. Politiker lassen sich auch durch 120.000 Unterzeichner nicht besonders beeindrucken und die technische Infrastruktur zur Kriminalisierung von Seitenaufrufern ist installiert. Der technische Unterschied zwischen Löschen und Sperren scheint von jenen, die das Web nicht ganz zu Unrecht als Bedrohung ihrer Hoheit empfinden, immer noch nicht gelernt zu sein. Was jeder Privatperson recht einfach möglich ist, einen Provider in einem anderen Land auf einen illegalen Inhalt aufmerksam zu machen, können Behörden offenbar nicht. Es scheint eher darum zu gehen, das “neue” Medium, unter Kontrolle zu bringen und zu reglementieren.

Trotzdem möchte ich zu einer Petition, die gerade auf die 100.000 Unterschriften zugeht und Zensursula vielleicht sogar toppen wird, meine Enttäuschung anmerken.

Zuerst muß ich dem Deutschen Hebammen Verband e.V. zu dieser Petition und zum Mobilisierungserfolg gratulieren. Wenn ich jedoch nach Blogs google, welche diese Petition unterstützen, finde ich unter den ersten 100 nur wenige private. Das war bei Zensursula anders.

Warum eigentlich? Liegt es nur an der anfangs beschriebenen Enttäuschung, daß Bundestagspetitionen eh nix bringen oder ist das Thema marginal? Ist es egal, wenn Frauen, die ihre Kinder zu Hause zur Welt bringen wollen und könnten, zukünftig diese Wahl nicht mehr haben?

Was wäre los, wenn eine Petition zu Netzneutralität, Softwarepatenten oder zu Filesharing genau so viele Unterzeichner gefunden hätte? Den Hebammen geht es leider nur darum, daß sie ihren Berufsstand durch steigende Haftpflichtprämien gefährdet sehen.

Obwohl ich mich selber zum linken Lager rechne, kann ich mich für diese Blindheit nur schämen. Ich vermute, daß ein Großteil des Engagements gegen Zensursula durch Angst und nicht durch Vernunft begründet war und solange keiner der Leithammel das Signal gibt, bewegen sich die Lemminge in keine Richtung.

Seit einiger Zeit engagiere ich mich für die Rechte von denen, deren Immunsystem durch die Belastungen der Petrochemie überfordert ist. Auch das interessiert nur wenige, weil die Gurus pennen.

Wenn man abstrakt über Umweltprobleme und Menschenrechte redet, stimmt jeder zu. Sobald es darum geht, wie das Menschen konkret betrifft, wird es zum individuellen unpolitischen Problem. Dann glaubt man sogar an den erfolgreich in die Medienwelt gesetzten Ökochonder und macht sich über die Betroffenen lustig oder beschimpft mich als Esotheriker.

Wo sind die Linken, die dem System auf allen Gebieten mißtrauen und sich lieber selber kundig machen? Jene die sich für “in eine emanzipative Richtung politisch engagiert” deuchen, werden genauso von Trends und Hypes gesteuert, wie der “unpolitischere” Teil der Gesellschaft.

Ich mache mich gerne lächerlich, indem ich behaupte, daß petrochemische Umweltschadstoffe bei der Entstehung von Diabetes 2 und Krebs eine größere Rolle spielen, als man offiziell zu gibt. Jeder Linke wird zustimmen, daß die Lebensbedingungen immer ungesünder geworden sind. Aber warum sollte man sich für Krebskranke oder Diabetiker engagieren?

Sogenannte Fachleute werden mit der Autorität ihres systemkonformen Wissens weiterhin erzählen, daß Diabetes 2 durch Übergewicht und mangelnde Bewegung hervorgerufen wird. Wie kommt es aber, daß Diabetes 2 bei Vietnam-Veteranen vom United States Department of Veteran Affairs als Spätfolge der Belastung durch das dioxinhaltige im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange anerkannt wird und zu kostenloser medizinischer Versorgung und zum Bezug von Ausgleichszahlungen berechtigt. Vielleicht klingelt es bei einigen, wenn man erwähnt, daß Dioxine und viele andere langlebige Umweltschadstoffe fettlöslich sind, im Körper akkumulieren und dort weiter wirken, indem sie das Hormonsystem oder den Stoffwechsel stören. Um den Einfluß der Umwelt zu erfassen, werden bereits Methoden erprobt.

Krebs ist aktuell als Politikum sichtbar. Am 06.05.2010 erschien der sogenannte Cancer Panel Report (PDF/7.3 MB) für 2008 bis 2009. Obwohl in der Vergangenheit darin eher konservative Haltungen vertreten wurden, mahnt dieser Bericht, Umweltfaktoren einen größere Bedeutung zuzumessen. Das hat die Diskussion belebt und bietet die Chance, den sogenannten Stand der Wissenschaft upzudaten. Es gibt Hinweise auf krebserzeugende Eigenschaften vieler Stoffe. Bei Asbest steht dies außer Frage. Aufgrund der langen Latenzzeiten von Krebserkrankungen wird man aber selten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen einer Belastung und einer Erkrankung herstellen können. Trotzdem wäre es vernünftiger, sich am Vorsorgeprinzip (PDF/1.1 MB) und nicht am Sorglosprinzip zu orientieren. Darum wird gerade gestritten.

In allen solchen Themen steckt die Machtfrage, die gerne hinter Sachzwängen versteckt wird. Ob die Petition der Hebammen etwas revolutionäres erreichen wird, ist noch nicht sicher, das Anliegen sollte man aber unterstützen. Es geht auch hier um einseitige Interessen, um Kommerz und Profit. An einer Krankenhausgeburt läßt sich mehr als an einer Hausgeburt verdienen und geboren wird immer.

Erst wenn wir uns überall einmischen, werden wir unbequem und können etwas erreichen. Solange wir uns nur auf ein paar voraussagbare Themen beschränken sind wir harmlos. Die Möglichkeiten die wir haben, uns zu informieren und den Herrschenden beim Herrschen auf die Finger zu schauen, sind durch das Internet unabsehbar geworden. Themen müssen diskutiert werden, jene die einzig ihre Interessen durchsetzen wollen, sollen sich beobachtet fühlen und sollen Fragen beantworten müssen. Demokratie muß wörtlich genommen werden.

Die Petition der Hebammen ist eine sehr politische Angelegenheit. Jeder möge sie wenigstens unterzeichnen und das Thema in seinen Bekanntenkreis tragen. Dann sehen wir weiter.

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Erstellt: 23. Mai 2010 20:34
Geändert: 24. Mai 2010 02:00
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