Initiative Pro Netzneutralität

Was hat Tunesien mit Hartz IV zu tun?

15. Januar 2011 20:48

Vor einiger Zeit gab es plötzlich eine Piratenpartei in Tunesien. Ich wußte kaum etwas über das Land und fand dies einfach nur abgefahren. Also folgte ich denen (für Facebook User: fügte diese meinen Freunden hinzu) und die folgten gleich zurück. Berlin ist dort sicher auch irgendwie bekannt. Danach bekam ich in unregelmäßig seltenen Abständen tweets von denen. Wenn sie auf Französisch waren, verstand ich etwas. Arabisch o.ä. konnte ich zwar sehen, aber nicht lesen. Manchmal wurde Englisch getweeted. Soweit so gut, ich fragte mich manchmal auch, was die mit meinen News wohl anfangen können. Es war eben nur ein netter Kontakt. Dann hieß es plötzlich, drei dieser Leute sind von der Polizei verschleppt worden. Ab da achtet man eben auf Nachrichten aus Tunesien.

Daß es in manchen Ländern nicht ganz harmlos ist, das Internet und soziale Netzwerke zu benutzen, kann man in in einem ars technica Artikel von Nate Anderson (engl.) (deutsch) nachlesen.

Zur Situation in Tunesien läßt sich im Moment nicht viel Gewisses sagen. Präsident Ben Ali hat sich vielleicht nach Saudi Arabien abgesetzt, nachdem er in Frankreich unerwünscht war und ist nun auch offiziell nicht mehr im Amt. Nachdem zuerst der Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Amtsgeschäfte übernahm, ist jetzt entsprechend der Tunesischen Verfassung der Parlamentssprecher Foued Mebezza vom Parlament zum neuen Interimspräsidenten bestimmt worden.

Die Armee geht gegen die Polizei des alten Präsidenten vor, hieß es in ein paar tweets. Ich sah sogar Notrufnummern der Armee. Ich sehe aber auch Notrufe per twitter, Milizen würden Leute beschießen. Es gab insgesamt schon viel zu viele Tote, nicht nur, daß die Demonstrationen mit Protest-Selbstmorden begannen. Nun gibt es womöglich von den Stützen der alten Macht inszenierte oder angestachelte Plünderungen von Geschäften.

Wer selber auf dem laufenden bleiben und sich fragen möchte, welche Nachrichten stimmen könnten, verfolgt am besten tweets, die mit #sidibouzid getagt sind. Wenn alles ideal verläuft, gibt es innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen und eine demokratisch legitimierte Regierung. Nur ist das oft nicht so einfach und es gibt noch die Interessen und den Einfluß anderer Imperien.

Das kann man in meinem vorausgegangenen Post, der Übersetzung eines Artikels von Basel Saleh zu den Hintergründen der Vorgänge in Tunesien nachlesen. Wer diesen Artikel liest, braucht nicht lange nach einer Antwort auf meine Frage suchen, was das alles mit uns zu tun hat.

Die Lebenssituation in Tunesien, unter der vergangenen Herrschaft von Präsident Ben Ali, kann man sich durchaus als verschärfte Hartz IV Situation vorstellen. Unsere Regierung besteht vielleicht noch nicht aus zwei Familien die in ihre eigene Tasche wirtschaften, aber die Perspektivlosigkeit vieler bei uns unterscheidet sich nur in ihrem niedrigeren Grad von der Perspektivlosigkeit der jungen Bevölkerung Tunesiens, die nun revoltiert, weil es keinen anderen Ausweg gab.

Bedeutet dies, daß wir uns auch auf eine Revolte vorbereiten sollten? Vermutlich träumen manche mit Blick auf die Wende davon. Das war ja damals auch eine grandiose Show für die Weltöffentlichkeit. Doch die sogenannte Wende, bzw. der Kollaps der DDR, war eine relativ einfache Übung, wenn ein System das andere auffängt. Es gab weiter Nahrungsmittel, Strom und Wasser, Radio und Fernsehen und niemand wurde sofort aus seinem Haus getrieben. Das bewirkte der Immobilienmarkt etwas später.

Sollen wir das JobCenter stürmen? In Tunesien spielt sich Politik ab, sogar internationale, wenn man bedenkt, welches Signal dieser Aufstand für andere autoritäre Regime im Norden Afrikas bedeutet. Das tägliche Leben mit Hartz IV, die Teilnahme an Schulungen oder sogenannten Ein-Euro Jobs, kann man genau so als eine Form politischer Unterdrückung verstehen. Wir leben in einem System, das auch uns immer mehr vorschreibt, wie wir zu leben haben. Und man spielt Arbeitslose, die für ihre Almosen nicht arbeiten müssen, gegen Arbeitende aus, die von ihrer Arbeit oft noch schlechter leben können, um den Lebensstandard noch niedriger drücken zu können. Gleichzeitig wird eine obere Schicht immer reicher, und daß läuft schon ein wenig in Richtung “Herrscherfamilie”. Vielleicht sollten wir das ehrwürdige Amt des Kaisers wieder einführen. Das fände ich als zackiger Preuße gar nicht so schlecht, sofern der oder die sich wieder Wilhelm nennt.

Ich bin mir nicht so sicher, ob wir auch Randale machen sollten. Ich frage mal meinen Fallmanager, der ist nett, vielleicht macht er mit. Doch ich fände es einer Zivilisation würdiger, wenn wir anders zu Lösungen kommen könnten. Auf die Parallelen der Situationen in Tunesien und im Hartz IV Land möchte ich jedoch unbedingt hingewiesen haben! Auch wir sind Tunesier… Warum gibt es keine Hartz IV – Tunesien Demos?

Das zu lösende Grundproblem ist ein weltweites und geht über die Errichtung von Demokratien hinaus. Dieser bescheuerte neoliberale Wahn, wonach man alles nur nach seinem finanziellen Wert und nicht nach dem Nutzen für die Menschen bemißt, der muß wieder aus der Welt. Ich habe dazu schon öfter geschrieben. Ich habe nichts gegen Unternehmer die gute Produkte herstellen und Gewinn machen. Aber der Gewinn darf nicht zum Selbstzweck werden und Ökonomie muß nachhaltig und gerecht sein.

Die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Die Wirtschaft ist dafür da, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Der freie Markt, der sich an keine Regeln halten muß, kann das nicht. Auf dem freien Markt setzen sich die stärksten egoistischen Interessen durch. Es bedarf wieder staatlicher Regelungen, um faire Rahmenbedingungen zu schaffen. All das erhoffen man sich nun auch in Tunesien.

Mal sehen, was sich dort entwickeln wird, und wie es bei uns weiter geht. Ich weiß keine Lösung, was man tun könnte, um eine schnelle Veränderung bei uns zu bewirken. Ich sehe nur den Weg, daß wir alle Möglichkeiten die wir haben nutzen, die Mängel unseres Systemes sichtbar zu machen und weiter für menschenfreundliche Themen zu streiten. Ich gebe viel auf die fast schon weltweite Entwicklung der Piratenparteien und auf die Möglichkeiten, die das Internet für die Verbreitung nützlicher Informationen bietet. Darum soll es ja reguliert, mit blödsinnigen Stoppschildern, Radiergummis, Notrufknöpfen und Besuchszeiten ab 22 Uhr versehen werden. Die etablierten Parteien werden sicher noch lange Stimmenmehrheiten bekommen werden. Erst recht, wenn wir still sind.

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Erstellt: 15. Januar 2011 20:48
Geändert: 15. Januar 2011 23:45
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