Initiative Pro Netzneutralität

Occupy-Bewegung will Washington besetzen

14. März 2012 22:13

Gedanken zu einer am 30.03.2012 geplanten Aktion

Der arabische Frühling war für die Occupy-Bewegung nicht unbedeutend, deshalb luden die Bewohner des Liberty-Square eine Delegation aus Kairo ein und auch die Umbenennung des Zuccotti-Parks könnte eine Referenz an den Tahrir Square gewesen sein. Liberty heißt Freiheit und Tahrir heißt Befreiung. Der Zuccotti-Park hieß allerdings zuvor bereits einmal Liberty Plaza Park. Zum geplanten Gegenbesuch ist es vermutlich nie gekommen, nicht nur weil der Liberty-Square geräumt worden war. In Kairo begannen neue Proteste. Sicherheitskräfte und zivile “Thugs” (Schläger) versuchten diese mit großer Brutalität zu unterdrücken. Während die ersten Wahlen nach Mubarak immer näher rückten, ging es den immer noch tausenden Demonstranten um die Vollendung der Revolution. Längst war absehbar, daß die Militärs nicht bereit waren, die Macht an eine zivile Regierung abzugeben.

Daß die Wahlen in Ägypten keine wirkliche Demokratie bringen werden und daß die friedlichen Demonstranten nicht dafür ihr Blut vergossen, ihre Augen oder gar ihr Leben verloren haben, ignorierte man bei uns genau so wie den Umstand, daß die Occupy-Bewegung durch die Räumung zahlreicher Camps und den Winter nicht der Inaktivität verfallen oder gar am Ende war.

Occupy Wall Street hat ziemlich genau mit dem kalendarischen Herbst von 2011 angefangen, möchte aber nicht als amerikanischer Herbst in die Geschichte eingehen. Amerikanischer Herbst klingt viel zu wenig nach Aufbruch (und deutscher Herbst klänge sogar nach McCarthy).

Der bevorstehende Frühling soll nun zu einem amerikanischen Frühling mit ähnlich revolutionären Assoziationen wie der arabische werden. Ich hoffe, es wird nicht genau so viel Blut wie in Ägypten fließen. Daß man Demonstrationen hier wie dort mit militärisch ausgerüsteter Polizei beantwortet, hat mit der neoliberalen Globalisierung und der weltweiten Vermarktung von Polizeiausrüstung und sogenannten nicht letalen Waffen zu tun. Überall werden Crowd-Control Produkte aus amerikanischer Produktion eingesetzt. Was sich in Ägypten bewährt, muß doch auch in Amerika von Nutzen sein. Der Unterschied ist nur graduell. Für die ägyptische SCAF-Junta ist die Hemmung niedriger, neben den angeblich nicht letalen Waffen auch scharfe Munition einzusetzen. Die Heftigkeit mit der die Polizei auf die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 reagierte, scheint mir ein weiteres Indiz für eine Globalisierung der Polizeigewalt zu sein. Bei uns könnte es sogar noch heftiger zugehen, haben wir doch die Notstandsgesetze, die zur Anwendung kämen, wenn sich die einsam Herrschenden bedroht fühlen und die bestehenden Verhältnisse in Gefahr sehen. Der Staatsnotstand wird nicht aus Sicht derer definiert, die in materieller Not sind.

Das obige Video wirbt für einen der Anläufe zum amerikanischen Frühling 2012. Am 30.03. soll in Washington ein großes Camp mit Teilnehmern aus ganz Amerika entstehen. Man nimmt auf ein historisches Ereignis von 1932 Bezug und verkündet, daß man mit vereinten Kräften seine Ziele erreichen könne: Politik soll wieder für die 99% und nicht für die reichen 1% der Bevölkerung gemacht werden.

Wie es in dem Video heißt, “waren damals 25 bis 50 Tausend Bonus-Marschierer nach Washington DC gekommen, errichteten ein Lager und weigerten sich dieses zu verlassen, bevor die Regierung ihnen ein akzeptables Angebot gemacht hat. Es war ein Kampf, aber am Ende konnten die Bonus-Marschierer ihren Sieg feiern. Der Kongreß verabschiedete ein Gesetz, das ihnen ihre Forderungen gewährte”.

Dieser Sieg der Bonus-Marschierer soll die Occupyer beflügeln, es ihnen gleich zu tun. Die Parallele der Zelt-Communities von 2011 und 1932 besteht durchaus. So wie die Occupyer auf der Liberty Square jene bessere Welt vorlebten, welche sie erreichen wollten und die entstanden Strukturen als ein Geflecht von Webseiten und realen Einrichtungen über das Bestehen des Zeltlagers hinaus retten konnten, so waren die Rassenunterschiede im damals noch sehr viel mehr rassistischen Amerika in den Camps von 1932 derart aufgehoben, daß es die Mächtigen mit der Angst zu tun bekamen. Leider blendet das Video die volle Geschichte des “Sieges” aus. Das Gesetz war überhaupt nicht unmittelbares Resultat der Proteste. Die Besetzung Washingtons wurde aber mit brutaler Gewalt geräumt und es bedurfte erst einer Naturkatastrophe, dem Labor Day Hurrikan von 1935, bis man sich endlich erbarmte, das Leid der Veteranen ein wenig zu lindern.

Was hatte es mit den Bonus-Märschen auf sich?

1924 beschloß der Kongreß ein Gesetz, welches den amerikanischen Veteranen des 1. Weltkrieges einen Bonus für den Kriegseinsatz, bzw. eine Entschädigung für entgangenen Lohn versprach. Pro Tag in Übersee wurden 1,25 Dollar festgelegt, für den heimischen Einsatz gab es einen Dollar. Dies ergab im Durchschnitt einen Betrag von 1.500 Dollar pro Veteran. Die Zahlungen sollten erst 1945 fällig werden.

Infolge der großen Depression nach dem berühmten Börsencrash von 1929, dem Urahn unserer Bankenkrisen, ging es den arbeitslosen Veteranen sehr schlecht, so daß diese forderten, die Boni vorzeitig auszuzahlen. Dieser Forderung wurde mit landesweiten Bonus-Märschen Nachdruck verliehen, die 1932 den Regierungssitz Washington und die Errichtung eines großen Lagers zum Ziel hatten. Washington wurde besetzt, man lebte dort mitsamt Familie vor den Augen der Regierung und der Öffentlichkeit so, wie man sonst sowieso lebte: in behelfsmäßigen Unterkünften wie Zelte, Hütten oder leerstehende Abbruchhäuser.

Der Senat gab trotz großer Debatte keinewegs nach und lehnte eine vorzeitige Auszahlung der Boni ab, obwohl es bis hin zur Polizei Verständnis für die verzweifelte Lage der Veteranen gab. Danach löste sich die Besetzung Washingtons zu großen Teilen friedlich auf, zudem hatte die Regierung Geld für die Heimreise angeboten. Es verblieben jedoch etwa 10 Tausend Veteranen.

Bei der Räumung eines besetzten Hauses eskalierte die Staatsgewalt. Einem Polizeieinsatz folgte ein Militäreinsatz mit immerhin sechs Panzern, auch wenn diese im Vergleich zu den heutigen eher wie Spielzeuge aussahen. Es wurde geschossen, es gab Tränengas, ein paar Tote und viele Verletzte. Schließlich gingen Zelte und Hütten in Flammen auf. Die letzten Veteranen zogen aus Washington ab und der Militäreinsatz machte schlechte Presse.

Das hinderte jedoch nicht daran, die Ansprüche auf den Bonus zeitweilig sogar zu senken, da es sich um einen großen Haushaltsposten handelte.

Die Veteranen lebten weiterhin in Elendsquartieren, teilweise sich selber überlassen, oder im Rahmen von Beschäftigungsprogrammen zum Aufbau der Infrastruktur. Viele hatte man auf die Florida Keys Inseln verfrachtet, um zukünftige Bonus-Märsche zu verhindern. Dort hat dann 1935 der Labor Day Hurrikan unter ihnen zahlreiche Todesopfer gefordert.

Es gab wieder öffentliche Empörung so daß sich der Kongreß genötigt sah, Mitte 1937 ein Gesetz zur vorzeitigen Auszahlung der Boni zu beschließen. Das war der im Video gepriesene Sieg, eine um lediglich 7 Jahre vorgezogenen Auszahlung der Boni.

Weltweite Kritik am Kapitalismus:

Es ist schade, daß die Organisatoren für den 30.03. die Geschichte der Veteranen nicht in ihrer ganzen Tiefe aufgegriffen haben, denn viel besser geht man mit heutigen Veteranen auch nicht um, die sich gerade in der Occupy-Bewegung engagieren.

Ich möchte hier an den Irak-Veteranen Scott Olsen erinnern, der in Oakland ohne irgend wen zu provozieren beinahe zu Tode kam und an den immer wieder erfrischenden Sergeant Shemar Thomas (YouTube).

Wenn ich nun schon bei Ikonen der Occupy-Bewegung bin, so sollte ich bei Gelegenheit über Rev Billy schreiben, dem nun versuchter Polizei-Exorzismus (YouTube) vorgeworfen wird. Nicht weniger erwähnenswert ist der Polizei-Veteran Captain Ray Lewis, der sich der Occupy-Bewegung angeschlossen hat und damit inzwischen seine Pension riskiert.

Die Bonus-Marschierer fanden zum Teil Verständnis in der Bevölkerung, doch das Anliegen der Occupy-Bewegung ist weitaus tiefer verwurzelt. Etwa die Hälfte aller Amerikaner lebt aktuell am Rande oder unterhalb der Armutsgrenze. Wenn vor diesem Hintergrund alle guten Kräfte zusammenhalten, kann das eine sehr mächtige Bewegung werden. Die Occupyer in den USA übertreiben nicht, wenn sie sagen, daß es für die übrige Welt von Bedeutung ist, was bei ihnen am Machtzentrum eines aus dem Ruder gelaufenen Kapitalismus passiert.

Am anderen Ende des trägen, reformunwilligen Ranzens von Europa zieht nicht nur der arabische Frühling, sondern auch Griechenland und Spanien und wer weiß, was sich in anderen Ländern noch tun wird, in Rußland oder China, in Arfika oder im Iran. Selbst im Israel rumort es. Soziale Unruhen wird es früher oder später überall geben. Gut, daß man über das Internet voneinander erfährt und weiß, daß sich alle, so spezifisch die Lage vor Ort auch sein mag, gegen das gleiche System wehren, das die meisten Menschen um ihre Zukunftsperspektiven beraubt. “Teile und regiere” wird für die obere Absahn-Clique irgendwann nicht mehr funktionieren. Die Menschen wollen leben, egal in welches Land mit welcher Kultur sie ohne ihr Zutun hinein geboren wurden. Sie sehen wie ihr Leben ist und wie es sein könnte. Sie sehen auch, daß der bisher eingeschlagene Weg den Planeten ruiniert und alles Leben zerstören wird.


Quellen:
www.globalsecurity.org/
Engl. Wikipedia – German Wikipedia sucks!

Mehr zur National Occupation of Washington:
www.nowdc.org


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Erstellt: 14. März 2012 22:13
Geändert: 17. März 2012 02:41
URL: http://blog.ufocomes.de/index.php?id=91