Initiative Pro Netzneutralität

"Ihr bringt mich um" - Schwer an ME erkrankte Patientin wird zu experimenteller Behandlung gezwungen

23. Juni 2013 21:07

Autor: Rebecca Hansen, Vorsitzende von ME Foreningen, Dänemark
Übersetzung: BrunO


© Foto: Hansen Family
„Ihr bringt mich um“ ist das, was die schwer kranke dänische ME-Patientin immer wieder zu ihren Pflegern gesagt hat, während man sie einer zwangsweisen, kontroversen und unbewiesenen Behandlung unterzieht, die als GET (Graded Exercise Therapy) bzw. stufenweise Aktivierungstherapie bekannt ist. Karina, 24 Jahre alt, leidet an Myalgischer Enzephalomyelitis (ME), einer Neuro-Immun Erkrankung. Vieles über ME ist immer noch unerforscht, doch ME-Experten sind sich einig, daß bei ME-Patienten eine Dysfunktion vorliegt, was ihre Fähigkeit angeht, Energie zu produzieren und sich von körperlicher Betätigung oder jeglicher Art von Anstrengung zu erholen. Dies nennt man Post-Exertional Malaise oder PEM. Studien haben gezeigt, daß GET bei der überwiegenden Mehrheit von leicht erkrankten ME-Patienten zu einer Verschlechterung führt.(I, II, III) In Belgien haben staatlich finanzierte Referenz-Zentren leicht erkrankte ME-Patienten mit GET behandelt und eine Auswertung dieser Zentren ergab, daß GET nicht wirksam war und daß die Patienten nach der Behandlung sogar WENIGER arbeiten konnten.(IV, V) Der belgische Gesundheitsminister erklärte offiziell, daß GET nicht als heilende Therapie für ME angesehen werden sollte.(VI)

Karina hat eine schwere ME und es wurden für diese Patientengruppe keine Studien durchgeführt. Deshalb kann die Behandlung von schwer kranken ME-Patienten mit GET nur als experimentell angesehen werden. In Dänemark ist es illegal, Patienten einer experimentellen Zwangsbehandlung zu unterziehen. Die Ärzte welche diese Behandlung angeordnet haben, sind die beiden Psychiater Nils Balle Christensen und Per Fink von der Forschungsklinik für Funktionelle Störungen und Psychosomatik (RFD). Es ist völlig inakzeptabel, daß die dänischen Behörden den Psychiatern erlauben, Karina auf diese Weise zu behandeln.

Karina wurde gegen ihren Willen seit dem 12. Februar 2013 festgehalten und erfährt täglich eine zwangsweise GET-Behandlung. 2011 erklärte Karina gegenüber dem Amtsarzt, daß sie keine GET Behandlung wünscht. Sie weinte, als sie ihm erzählte, daß sie gesünder werden wolle und GET bereits ausprobiert hatte, doch sie wurde davon jedes Mal kränker. Der Amtsarzt akzeptierte, daß Karina geistig gesund war und in der Lage sei, ihre eigenen Entscheidungen zu ihrer Behandlung zu treffen. Man vereinbarte, daß man sie zu keiner ungewollten Behandlung zwingen würde. Doch diese Vereinbarung wurde gebrochen, als man sie einwies. Sie wird nun gezwungen, täglich GET zu erdulden.

Karina geht es derart schlecht, daß sie gewöhnlich nur über die Kraft verfügt, einzelne Worte zu sprechen. Am besten kommt sie mit Ja/Nein Fragen klar, die keine komplexen Gedankengänge erfordern. Wenn ihre Pfleger ihr zuviel abverlangen, wird sie wütend und weint. Manchmal sammelt sie alle Energie um zu sagen, „Ihr bringt mich um“. Doch die Behandlung wird fortgesetzt. Wenn sie nichts sagt wird angenommen, daß sie kooperiere.

Ich bekam diese Information am 31. Mail 2013, bei einem Treffen mit Karinas Eltern, ihrer Schwester, einem Ergotherapeuten der Karina behandelt und einem Arzt vom Hammel Neurocenter, wo Karina festgehalten wird. Ziel des Treffens war es, die Liste an Einschränkungen zu diskutieren, die Nils Balle Christensen (NBC) Karinas Eltern zugesandt hatte. NBC ist für Karinas Behandlung zuständig und Per Fink (PF) ist sein Chef. Karinas Eltern wurde gesagt, daß sie an einem solchen Treffen teilnehmen müssen, wenn sie Karina sehen wollen. Sie durften sie nicht besuchen, seitdem sie eingewiesen worden war.

Die wichtigsten Punkte dieses Treffens waren:

  • Karinas Mutter (die Eltern) befolgte(n) die Empfehlungen von ME-Experten, als sie Karina zu Hause pflegte(n). NBC und PF ignorieren diese Empfehlungen.
  • Zu Hause konnte Karina selbst über ihre Behandlung entscheiden, doch NBC und PF erlauben ihr nicht, ihre Behandlung zu wählen.
  • Nach Karinas Einweisung wurde die Medikation komplett abgesetzt. Das Personal wußte nicht, welche Medikamente sie einnahm, bevor sie eingewiesen wurde. Zu Hause nahm sie Cortisol und Supplemente, die von einem Arzt empfohlen wurden.
  • In der Klinik hat sich Karina geweigert, jegliche Supplemente oder Medikamente einzunehmen.
  • Nils Balle Christensen und Per Fink glauben nicht, daß Karina ME hat. Der Arzt, den wir am 31. Mai trafen, erhält seine Information über Karina und ME von NBC und PF. Dieser Arzt sagte, ME sei ein "Fantasiegebilde" und Ärzte die an ME glauben seien "Schwachköpfe". (NBC und PF sind offiziell für alle ME-Patienten in Dänemark zuständig.)
  • Karina wurde vier Mal mit ME diagnostiziert: zweimal von ME-Spezialisten, einmal von einer rheumatologischen Klinik und einmal von einem Psychiater.
  • NBC und PF sind nicht daran interessiert, mit ME-Spezialisten oder mit irgend jemand außerhalb ihrer Einrichtung zusammen zu arbeiten. Ich bot an, einen ME-Experten kommen und Karina untersuchen zu lassen, doch dies wurde abgewiesen.
  • NBC und PF glauben, Karina wäre geisteskrank und war es wahrscheinlich schon lange bevor sie bettlägerig wurde. Der Arzt mit dem wir sprachen erzählte, daß die Behandlung von Karina nach den Empfehlungen von ME-Spezialisten eine Fehlbehandlung wäre und ihren Zustand verschlimmert hätte. Er wollte der Familie nicht den Namen der Erkrankung nennen, die Karina nach Ansicht von NBC und PF hat, oder was nach ihrer Ansicht die Ursache wäre, aber sie sind sich sicher, daß GET die Behandlung für diese mysteriöse geistige Erkrankung ist. Man beachte, daß es KEINEN Beleg dafür gibt, daß Karina geisteskrank ist oder jemals war, da sie stets für geistig gesund befunden wurde.
  • Die schriftlichen, für Besuche auferlegten Restriktionen besagen, daß Karinas Eltern sie nur dann besuchten dürfen, wenn zu erkennen ist, daß sie die Behandlung (GET) unterstützen, zu der Karina gezwungen wird. Ihnen wurde bisher kein Besuch gestattet, da der Argwohn bestand, daß sie etwas Schlechtes über die Behandlung sagen würden. Eine Pflegekraft muß die ganze Zeit zugegen sein, damit Karina nicht in eine "unangemessene Richtung" beeinflußt würde.
  • Karina war um die erste Woche herum extrem krank, nachdem sie nach Hammel gebracht worden ist. Streß und Verausgabung verschlechtern ME und Karina verbrauchte sehr viel Energie, als sie nach ihrer Einweisung versuchte, Hilfe zu bekommen. Sie hat den Mitarbeitern wiederholt gesagt, daß sie dort nicht sein möchte und sie tätigte 26 telefonische Hilferufe, darunter auch einen an die Polizei, bevor ihr Telefon den Dienst versagte. Im Vergleich zur ersten Woche geht es ihr besser, aber es gibt keine signifikante Verbesserung in Vergleich zu ihrem Zustand, als sie zu Hause war. Sie kann immer noch nicht gehen und sie ist immer noch sehr anämisch.
  • Als wir den Arzt fragten, ob Karina ganze Sätze sprechen könne, erzählte er uns: Sie sagt und hat immer gesagt, "Ihr bringt mich um", das ist ein ganzer Satz.
  • Vor Kurzem wurde sie unter Suizidbeobachtung gestellt, weil sie sehr viel geweint hat. Diese Sorge bestand zu Hause nie.
  • Die Landesverwaltung von Central Jutland (Statsforvaltningen Midtjylland) hat einen Vormund für Karina ernannt, so liegt es nun in dessen Hand zu entscheiden, was für Karina das Beste ist.

Nach dem Treffen schrieb ich Karinas Vormund an, erzählte ihm von ME und ein wenig über Karinas Geschichte. Ich hoffe, er wird seine Aufgabe ernst nehmen und all das Material zu dem Fall lesen und tun, was für Karina am besten ist. Ich weiß nicht, ob ich in Zukunft Informationen über Karina erhalten werde.

Nils Balle Christensen, Per Fink und die Forschungsklinik für Funktionelle Störungen und Psychosomatik verordnen Karina Hansen zwangsweise eine experimentelle GET-Behandlung. Ihre unbegründete Theorie, daß ME mit GET geheilt werden kann, steht hinter dieser fehlgeleiteten „Forschung“. Und ihr Handeln wird von der dänischen Regierung gestützt. Das sind die Beteiligten, die für ihre Taten gegen Karina und ihre Familie zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Aber auch das Personal am Hammel Neurocenter ist nicht völlig unschuldig. Blind befolgen sie die Anweisungen von NBC und PF. Als ich das erste Mal hörte, Karina komme in das Hammel Neurocenter, hatte ich Hoffnung, weil ich dachte, sie könnten offen sein, etwas über ME zu lernen und ihr vielleicht helfen. Ich hatte gehofft, sie würden jene Tests durchführen, die in den Internationalen Konsenskriterien für ME empfohlen werden.(VII) Ich hoffte, sie würden etwas feststellen, das sie bei ihr behandeln könnten – z.B. Hormonstörungen, Dysfunktion des Immunsystemes, Blutarmut, chronische Infektionen usw. Bei ME-Patienten findet man viele Störungen und wenn diese Dinge behandelt werden, erhöht sich die Lebensqualität. Ich hatte gehofft, das Personal wäre offen, über Karinas Erkrankung etwas zu lernen und sich ein paar kritische Gedanken darüber zu machen, was ME ist. Doch nach meinem Besuch in der Klinik, am 31. Mai 2013, sind diese Hoffnungen völlig zunichte gemacht worden. Alle Anweisungen zur Behandlung von Karina kommen von NBC und PF und das Personal folgt ihnen kritiklos. Ich hoffe, das Personal von Hammel denkt gut darüber nach, was Karina angetan wird und entscheidet, ob es mitverantwortlich sein will.

Karina gehört an einen Ort, wo man ME versteht und die besonderen Bedürfnisse schwer kranker ME-Patienten respektiert. Die Forschungsklinik für Funktionelle Störungen und Psychosomatik verfügt eindeutig über keine Kompetenz für ME und ist nicht daran interessiert, irgend etwas zu akzeptieren, das ihrer Theorie widerspricht, nach der es sich bei ME um ein „Fantasiegebilde“ handelt. Sie sollten für KEINEN ME-Patienten zuständig sein. Solange Nils Balle Christensen und Per Fink die Anweisungen geben, ist das Hammel Neurocenter ein ungeeigneter Ort für Karina.

Karinas Rechtsanwalt, der ME-Verband und viele tausend Menschen die auf Karinas Schicksal aufmerksam wurden, kämpfen weiter für ihre Rechte.


  1. http://www.me-foreningen.dk/filer/Forskning_viser_CBT_og_GET_ikke_helbreder_ME.pdf
  2. http://www.iacfsme.org/LinkClick.aspx?fileticket=Rd2tIJ0oHqk%3D&tabid=501
  3. http://www.pugilator.com/awareness/is-this-the-end-for-the-belgian-cfs-reference-centers/
  4. http://www.me-foreningen.dk/images/stories/me-cfs/pdf/cbt-%20get%20reivew%20twisk-maes.pdf
  5. http://me-foreningen.com/meforeningen/innhold/div/2012/09/CFS-la-b%C3%AAte-noire-of-the-Belgian-Health-Care-System-Maes-Twisk.pdf
  6. http://www.biomedcentral.com/1741-7015/8/35
  7. http://www.me-foreningen.dk/images/stories/me-cfs/pdf/ic%20primer%20-denne%20anbef.%20kopi%203.pdf


© Rebecca Hansen, Vorsitzende von ME Foreningen, Dänemark

Für diese Übersetzung gilt das Lizenzmodell dieses Blogs ausdrücklich nicht. Sie steht unter keiner Creative Commons Lizenz. Anfragen sind an Rebecca Hansen zu richten. Im Falle einer Genehmigung zur Weiternutzung durch die Rechteinhaberin stimme ich einer nicht kommerziellen Nutzung zu.

Quelle des Original-Artikels (ME Foreningen, Dänemark): Dänisch (PDF), Englisch (PDF)

The English version with additional materials can also be read under the title „Update 2: Human Rights denied: Something rotten in the state of Denmark: Karina Hansen’s story“ on dx revision watch.

Falls Sie es noch nicht getan haben, lesen Sie bitte auch „Karina Hansen, einfach so von zu Hause abgeholt.“ und werden Sie wenigstens mit einem Klick für Karina Hansen aktiv. Sie könnten noch mehr tun!


Update Do 10.03.2016 12:45:16 CET

Nach einem Blogeintrag von Valerie Eliot Smith wurde Karina Hansen in ein „Rehabilitationszentrum“ verlegt. Sie wird immer noch mehr oder weniger von ihrer Familie isoliert. Nur ihr Vater durfte sie neulich besuchen. Sie sah gepflegt aus, saß jedoch im Rollstuhl und erkannte ihn nicht. Sie ist nur in der Lage, unverständliche Laute von sich zu geben und Grimassen zu ziehen.

Ein krasser Gegensatz zu ihrem Zustand vor der zwangsweisen Einlieferung in das Hammel Neurocenter. Sie war zwar körperlich sehr krank, jedoch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Die Psychiater Per Fink und Nils Balle Christensen sollten dafür vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Sieht so eine auf welcher Diagnose auch immer beruhende Heilung des Verstandes aus?

Zwangsbehandlung verstößt gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, welche Dänemark am 30.03.2007 unterschrieben und am 25.07.2009 ratifiziert hat. Seither gilt diese Konvention auch in Dänemark!

Leider hat auch unser Gesetzgeber Zwangsbehandlungen weiterhin ermöglicht, wenn es das „Beste“ für den Betroffenen ist. Es wäre ehrlicher, Deutschland und Dänemark würden ihre Unterschriften zurück ziehen.


Update So 25.12.2016 18:39:44 CET

Nach einem weiteren Blogeintrag von Valerie Eliot Smith ist Karina Hansen seit etwa Oktober 2016 wieder zu Hause. Es geht ihr soweit gut, wie auf einem Foto zu sehen ist, auf dem sie sich über viele Geburtstagskarten aus aller Welt freut.

Die Familie bittet um Spenden für Anwalts- und Gerichtskosten. Ich hoffe sehr, daß sich Per Fink und Nils Balle Christensen eines Tages vor Gericht verantworten müssen und daß deren Bestrafung dafür sorgt, daß die Erkrankung ME/CFS nicht weiter psychiatrisiert wird und die Betroffenen nicht mehr zu schädlichen Behandlungen gezwungen werden.

Viele Ressourcen zu ME, CFS und SEID finden Sie in meiner Linksammlung auf partsperhuman.info


Update Di 23.10.2018 17:34:39 CEST

Am 10.10.2018 hat ein Gericht nach einer vorausgegangenen Anhörung beschlossen, daß Karina Hansen geistig in der Lage ist, über ihre gesundheitlichen und finanziellen Angelegenheiten selber zu entscheiden. Ihr amtlicher Vormund wurde von seinen Pflichten entbunden. Dies nach einer polizeilich erzwungenen Entfernung aus ihrer Familie und einem dreieinhalbjährigen Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie, mit inkompetenter Behandlung durch auf einen Karrieredurchbruch hoffende Psychiater, welche ihre schwere körperliche Erkrankung leugneten und Menschen als Idioten bezeichneten, die an solche Erkrankungen „glauben“. Hoffentlich wird es in Zukunft niemandem mehr so ergehen wie Karina! – Das Verhalten der Psychiater sollte ein juristisches Nachspiel wegen Körperverletzung und Verletzung von Menschenrechten haben. Vermutlich aber kommen sie ungeschoren und ohne großen Ansehensverlust davon und werden unbelehrbar bleiben.

Quelle: Blogeintrag von Valerie Eliot Smith (engl.)

Danke auch an Suzy @dxrevisionwatch für diese gute Nachricht.


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Erstellt: 23. Juni 2013 21:07
Geändert: 23. Oktober 2018 20:13
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