Initiative Pro Netzneutralität

Monsanto macht Schnipp und weg ist die Séralini-Studie!

2. Februar 2014 19:42


© Foto: Farmerboy720
Ersatzstudie mit Eichhörnchen...
Vorbemerkung:

2012 sorgte eine toxikologische Studie für großes Aufsehen. Eine französische Forschergruppe um Prof. Gilles-Eric Séralini hatte Ratten mit Monsantos genverändertem Mais NK603 sowie mit dem Herbizid Roundup Ready (Glyphosat) das von dieser Maissorte toleriert wird über ihre gesamte Lebensspanne gefüttert. Diese zeigten nicht nur toxisch bedingte Nieren- und Leberschäden, sondern wiesen groteske Turmorbildungen und eine hohe Sterblichkeit auf.

Die Aufregung war bei Gegnern und Befürwortern von gentechnisch veränderten Organismen etwa gleich groß. Die Kritik der Lobbyisten, denen der Spiegel wieder mal bereitwillig ein Podium bot, läßt sich etwa so zusammen fassen: Das Studiendesign wäre fehlerhaft, so sei die Zahl der Versuchstiere viel zu niedrig gewesen und es wurde eine besonders krebsanfällige Sorte (Sprague Dawley) verwendet.

Nicht gesagt und von den Autoren der Studie leider auch nicht offensiv genug kommuniziert wurde, daß das Studiendesign stark an Monsantos Zulassungsstudien angelehnt war. Die Unterschiede jedoch sprechen eher für als gegen Séralinis Studie: Die Tiere wurden nicht wie in Monsantos Zulassungsstudien üblich nur 90 Tage lang gefüttert, so daß Langzeitfolgen aufgezeigt werden konnten und die Studie wurde sorgfältiger ausgewertet. Die dafür herangezogenen Tiere wurden nicht aus einer größeren Gruppe ausgewählt (sog. Cherry Picking), was bei Monsantos Zulassungsstudien der Fall gewesen sein soll.

Es blieb nicht nur bei einer heftigen Kontroverse. Das Elsevier Journal "Food and Chemical Toxicology" zog Ende 2013 den Artikel zurück, obwohl er vor der Veröffentlichung den Peer Review Prozeß erfolgreich durchlaufen hatte. Die Begründung war, die Studie würde keine beweiskräftigen Schlüsse zulassen. Was sagt dies über Monsantos Zulassungsstudien aus? Wäre es nun nicht an der Zeit, u.a. die Zulassung von Mais NK603 weltweit zu widerrufen?

Rein zufällig wurde das Redaktionsteam von "Food and Chemical Toxicology" vor der Rücknahme der Séralini-Studie um einen ehemaligen Monsanto-Angestellten erweitert, der jedoch, wie er sagt, am Entscheidungsprozeß nicht direkt beteiligt war. Weitere Kommentare erübrigen sich. Allerdings kann ich mir die Feststellung nicht verkneifen, daß dieser Vorgang nicht der Glaubhaftigkeit von Prof. Séralini, wohl aber der des renommierten und Bezahlschranken bewehrten Wissenschaftsverlages Elsevier schaden wird. Weiter so!



Im Folgenden gebe ich eine Stellungnahme zur Zurücknahme der Séralini-Studie aus den Environmental Health Perspectives wieder.

Die Autoren sind Christopher J. Portier, International Agency for Research on Cancer (Senior Visiting Scientist), Lyon, Frankreich, Lynn R. Goldman, George Washington University School of Public Health and Health Services, Washington, DC, USA und Bernard D. Goldstein, Graduate School of Public Health, University of Pittsburgh, Pittsburgh, Pennsylvania, USA.

Nicht beweiskräftige Ergebnisse: Schaut alle her, schwubdiwub weg sind sie!


Der umweltmedizinischen Literatur mangelt es nicht an kontroversen Schriften welche Kritik, Zustimmung und was am wichtigsten ist den Wunsch provozieren, die von den Autoren hervorgebrachten Ergebnisse besser zu verstehen. Ein Untersuchungsbericht von Séralini und Kollegen (Séralini et al. 2012), der im Journal Food and Chemical Toxicology (FCT) erschien, ist so ein Artikel, der beachtliche Auseinandersetzungen (Arjó et al. 2013, Barale-Thomas 2013, Grunewald and Bury 2013, Ollivier 2013; Wagner et al. 2013, Sanders et al. 2013, Schorsch 2013, Séralini et al. 2013) nach sich zog, aber auch die Forderung nach weiterer Forschung (Europäische Kommission 2013). Dies gehört alles zum wissenschaftlichen Prozeß einer modernen Forschungslandschaft. Das Zurückziehen des Artikels von Séralini et al. durch das FCT Journal schafft jedoch einen neuen Präzedenzfall bzgl. des Umganges mit Peer Review Veröffentlichungen, von dem wir glauben, daß er schwerwiegende Folgen für die Umweltmedizin haben wird. In der Ankündigung des Chefredakteurs zur Zurücknahme wird insbesondere erklärt, "Nach allem lassen die vorgelegten Ergebnisse (obwohl sie nicht fehlerhaft sind) keine eindeutigen Schlüsse zu und erreichen deshalb nicht die Mindestanforderungen für Food and Chemical Toxicology" (FCT 2013). Der Chefredakteur machte ebenfalls deutlich, daß er "keine Hinweise auf Betrug oder beabsichtigte Fehlinterpretation der Daten festgestellt hat".

Dieser Artikel (Séralini et al. 2012) löste vom ersten Augenblick seiner Veröffentlichung an Kontroversen aus. Es ist nicht unsere Absicht, den Stellenwert der von den Autoren erbrachten Ergebnisse oder deren Konsequenzen für die betroffenen kommerziellen Produkte zu diskutieren. Diese Themen wurden in der frei zugänglichen wissenschaftlichen Literatur seit Veröffentlichung der Schrift debattiert und wir stimmen vielen Rezensionen zu. Die Zurücknahme eines jeglichen Artikels wegen "fehlender Schlüssigkeit" hat jedoch negative Folgen für die konzeptuelle Integrität des Peer Review Verfahrens als wesentliche Grundlage einer unbeeinflußten wissenschaftlichen Untersuchung.

Die Arbeit wurde im Auftrag von FCT von Wissenschaftlern einer Peer Review unterzogen und zur Veröffentlichung frei gegeben. Infolgedessen hat sie ursprünglich den Anforderungen für eine Veröffentlichung genügt. Nach unserer Ansicht sollte es für die erzwungene Zurücknahme eines Artikels andere Kriterien geben und wir glauben, daß diese Schrift diese Kriterien nicht erfüllt hat. Die COPE-Richtlinien zur Rücknahme von Artikeln (Committee on Publication Ethics 2009) geben vier Gründe dazu an: wissenschaftlicher Betrug/eingestandener Irrtum, keine Erstveröffentlichung, Plagiat oder ethisch nicht korrekte Forschung. Keiner dieser Gründe trifft auf diesen speziellen Artikel zu und trotzdem hat Elsevier als Mitglied von COPE entschieden, die Schrift zurück zu ziehen.

Es gehört zur Natur von Wissenschaft als solcher, daß einzelne Studien selten wenn überhaupt absolute Beweise liefern. Zahllose veröffentlichte Studien erwiesen sich im Nachhinein aufgrund weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen als äußerst fehlerhaft, was auch auf die Studie von Séralini et al. zutreffen mag. Unseres Wissens gibt es keinen anderen Fall, in welchem ein Artikel aufgrund "unschlüssiger Daten" zurückgenommen wurde, weder bei Elsevier oder einem anderen Verlag, noch sonstwo in der wissenschaftlichen Literatur. Das Herausgreifen dieser einen Studie, um sie zu depublizieren, hängt garantiert mit der Kontroverse zusammen, welche ihrer Veröffentlichung folgte. Die Auswirkungen dieser zielgerichteten Aktion reichen weit über diese eine Publikation hinaus und werfen ein paar größere wissenschaftliche Fragen auf. Sind diese Daten, die ein anderes Journal sehr wohl hätte dauerhaft akzeptieren können nun so weit verbrannt, daß sie nicht wie gewohnt für die Evidenzermittlung im Rahmen von Untersuchungen des Peer Review geprüften Forschungsbestandes herangezogen werden können? Wird die Reaktion der Beteiligten auf neue Forschungsergebnisse darin bestehen, sich eher mit Auseinandersetzungen um die Zurücknahme eines Artikels zu beschäftigen, als weitere Studien zur Replikation oder Widerlegung der Ergebnisse durchzuführen? Stärkt diese Rücknahme den wissenschaftlichen Prozeß oder vermischt sie wissenschaftlichen Diskurs mit Public Relations?

Bemühungen, wissenschaftliche Ergebnisse oder ihr Bekanntwerden an sich zu unterdrücken, höhlen die wissenschaftliche Integrität aus, von welcher das Vertrauen der Öffentlichkeit abhängt. Die Zurücknahme durch das FCT Journal kennzeichnet einen erheblichen und zerstörerischen Wandel im Umgang mit strittigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten. Gleichermaßen beunruhigend ist, daß diese Rücknahme de facto keine Auswirkung darauf hat, wie Wissenschaftler die Wissenschaft sehen, sondern ausschließlich wie sie von anderen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde wahrgenommen wird. Wir sind der Ansicht, daß die Entscheidung, eine veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit durch einen Redakteur gegen den Willen der Autoren zurück zu ziehen, weil sie aufgrund einer post hoc Analyse "unschlüssig" ist, eine gefährliche Erosion der Fundamente des Peer Review Prozesses darstellt und Elsevier sollte diese Entscheidung noch einmal sorgfältig überdenken.



Referenzen:

Arjó G, Portero M, Piñol C, Viñas J, Matias-Guiu X, Capell T, et al. 2013. Plurality of opinion, scientific discourse and pseudoscience: an in depth analysis of the Séralini et al. study claiming that Roundup™ Ready corn or the herbicide Roundup™ cause cancer in rats. Transgenic Res 22(2):255–267.

Barale-Thomas E. 2013. The SFPT feels compelled to point out weaknesses in the paper by Séralini et al. (2012) [Letter]. Food Chem Toxicol 53:473–474.

Committee on Publication Ethics. 2009. Retraction Guidelines. Available: http://publicationethics.org/files/retraction%20guidelines.pdf [accessed 8 January 2014].

European Commission. 2013. FEEDTRIALS KBBE 2013. Available: http://ec.europa.eu/research/participant​s/portal/desktop/en/opportunities/fp7/ca​lls/fp7-kbbe-2013-feedtrials.html [accessed 6 January 2014].

FCT (Food and Chemical Toxicology). 2013. Retraction notice to "Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize" [Food Chem. Toxicol. 50 (2012) 4221–4231]. Available: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0278691513008090/pdfft?md5=f2b9216f0be3094a910ba7aa292296c8&pid=1-s2.0-S0278691513008090-main.pdf [accessed 14 January 2014/Updated 02 Feb 2014, Zacke].

Grunewald W, Bury J. 2013. Comment on “Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize” by Séralini et al. [Letter]. Food Chem Toxicol 53:447–448.

Ollivier L. 2013. A comment on “Séralini, G.-E., et al., Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food Chem. Toxicol. (2012),” http://dx.doi.org/10.1016/j.fct.2012.08.​005 [Letter]. Food Chem Toxicol 53:458.

Sanders D, Kamoun K, Williams B, Festing M. 2013. Re: Séralini, G.-E., et al. Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food Chem. Toxicol. (2012) [Letter]. Food Chem Toxicol 53:450–453.

Schorsch F. 2013. Serious inadequacies regarding the pathology data presented in the paper by Séralini et al. (2012) [Letter]. Food Chem Toxicol 53:465–466.

Séralini GE, Clair E, Mesnage R, Gress S, Defarge N, Malatesta M, et al. 2012. Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize. Food Chem Toxicol 50(11):4221–4231.

Séralini GE, Mesnage R, Defarge N, Gress S, Hennequin D, Clair E, et al. 2013. Answers to critics: why there is a long term toxicity due to a Roundup-tolerant genetically modified maize and to a Roundup herbicide. Food Chem Toxicol 53:476–483.

Wagner R, Lerayer A, Fedoroff N, Giddings LV, Strauss SH, Leaver C, et al. 2013. We request a serious reconsideration of the recent paper by Séralini et al. alleging tumorigenesis in rats resulting from consumption of corn derived from crops improved through biotechnology (Séralini et al., 2012) [Letter]. Food Chem Toxicol 53:455–456.




Der Originaltext "Inconclusive Findings: Now You See Them, Now You Don’t" (DOI:10.1289/ehp.1408106) wurde am 01.02.2014 von den Environmental Health Perspectives (EHP) als Public Domain (Gemeingut) veröffentlicht. Für diesen Blogpost inklusive meiner Übersetzung gilt CC: BY-NC. Das Copyright für das Artikelbild s.o. ist hiervon ausdrücklich ausgenommen. Thanks much Paul for your permission.



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08.02.2014 Update:

Inzwischen fordern auf endsciencecensorship.org über 100 Wissenschaftler mit Argumenten wie den oben vorgebrachten die Wiederveröffentlichung der Séralini-Studie. Wenn Sie selber Wissenschaftler sind, können Sie hier mitzeichnen.

Eine internationale Petition auf Avaaz fordert unsere Bundesregierung auf, zurück gehaltene Industriestudien zu Glyphosat zu veröffentlichen. Sie kann von jedermann und frau unterzeichnet werden. Diese Studien sollen embryonale Mißbildungen durch Glyphosat belegen, wurden aber zur Begründung von dessen Ungefährlichkeit herangezogen und nie veröffentlicht.

Bitte auch hier mitmachen:





24.06.2014 Update:

Nach einem dritten Peer Review Durchgang hat Environmental Sciences Europe (SpringerOpen) die Studie wiederveröffentlicht. Somit steht diese nun der Wissenschaft als eine der am härtesten überprüften Quellen wieder offiziell zur Verfügung. Was für ein schöner Arschtritt für Monsanto und Food and Chemical Toxicology!

http://www.enveurope.com/content/26/1/14
doi:10.1186/s12302-014-0014-5

http://www.gmoseralini.org/republication-seralini-study-science-speaks/


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Erstellt: 2. Februar 2014 19:42
Geändert: 24. Juni 2014 12:51
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