Übersetzung eines brasilianischen Interviews mit Lexi Alexander
30. Januar 2015 14:45
Das Interview führte Thiago Cardim
Übersetzung: BrunO
Vor einiger Zeit hat uns Hollywood-Regisseurin Lexi Alexander (@lexiAlex) von Ihren Ansichten zu Filesharing erzählt. Sowohl die Bösartigkeit der Reaktionen aus der Filmindustrie als auch das mangelnde Interesse von Seiten der Piraten-Community machten sie sprachlos. Trotzdem hat sie den Kampf aufgenommen, gewinnt an Respekt und ihre Stimme wird in Kreisen von Filmmachern und Kinogängern auf der ganzen Welt gehört. Wir sind stolz darauf, daß wir Ihnen die einzige englische Version eines Interviews präsentieren können, das Thiago Cardim geführt hat. Die Originalfassung auf JUDÃO trägt den Titel: "Lexi Alexander, ein in Hollywood keineswegs beliebtes Girl".
Als sie von Deutschland nach Kalifornien zog, hatte sie alles um ein Star zu werden. Als Karate-Champion ging sie mit nicht viel mehr als Mut in die USA, da sie unbedingt beim Film arbeiten wollte. Sollte man nicht denken, als Schauspielerin? Ganz ohne Quatsch! Doch stattdessen bevorzugte sie es, in Actionfilmen als Stuntwoman zu arbeiten, um ein paar großen Kerlen in den Arsch zu treten, bevor sie anfing eigene Kurzfilme zu machen. Bingo! Sie wurde Regisseurin.
Obwohl "Lifted" (in Brasilien nicht veröffentlicht) ihr neuster Dreh ist, ein Film über einen Jungen der versucht Sänger zu werden, um damit fertig zu werden, daß sein Vater als Reservist in das Konfliktgebiet Afghanistan abkommandiert wurde, ist sie für "Hooligans" mit Elijah Wood am besten bekannt, in dem es um die gewalttätige Welt englischer Fußballfans geht. Sie war auch für einen Film mit einer Figur aus den Marvel Comics verantwortlich, dem seelischen Looser "Punisher: War Zone" - in einer der vielleicht originalgetreusten Versionen von Frank Castle [aka Punisher] auf großer Leinwand (sorry, Thomas Jane) und sie wurde als aussichtsreiche Kandidatin für die Regie von Wonder Woman gehandelt.
Doch in den vergangenen Monaten wurde Lexis Stimme überall in der Filmwelt wegen ihren kontroversen Ansichten zum Filesharing vernommen.
"Nein, Kopieren ist nicht Diebstahl", sagt sie ganz entschieden zu Beginn dieses exklusiven Gesprächs mit JUDÃO. Schon allein dieser Satz wäre genug dafür zu sorgen, daß sie zu den besten Parties in Hollywood nicht mehr eingeladen wird. Doch ehrlich gesagt, scheint es Lexi nicht viel auszumachen, daß sie sich im radikalen Gegensatz zu den meisten ihrer Filmmacher Kollegen positioniert hat, die eine Kriminalisierung von Piraterie offen favorisieren. "Hollywood kann nicht länger die Öffentlichkeit verarschen". Sie erklärt dies mit der Distribution von Filmen auf internationaler Ebene, als es im Gespräch um die Macht der Verbraucher im neuen digitalen Zeitalter geht, bevor sie über den Status einer Frau hinter der Kamera im Land des "Seventh Art" Film-Magazines weiter erzählt. Sie sagt: "Die Situation ist verheerend und sie wird schlimmer."
Thiago: Laß' uns hier als Erstes den Rahmen abstecken: Gibt es für Dich einen Unterschied zwischen Filesharing und Piraterie? Oder kurz: Ist Kopieren das gleiche wie Klauen?
Lexi: Nein, Kopieren ist nicht Diebstahl. Weil, wenn Du etwas stiehlst bedeuted das, daß die andere Person es nicht mehr hat. wenn Du etwas kopierst, verliert die andere Person niemals ihren Besitz. Deshalb nennt der US Supreme Court den Tatbestand des Herunterladens eines Filmes ohne zu bezahlen "Kopier-Verstoß" und nicht Diebstahl. Über diese Formulierung gibt es viele Mißverständnisse. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, daß man Filesharer Piraten nannte, aber soweit ich es verstehe, haben sie in einer Trotzhaltung beschlossen, diesen Namen anzunehmen. Das macht die Dinge kompliziert, besonders wenn die Leute aus der Copyright-Bewegung plötzlich darauf bestehen, daß alle die darüber debattieren, das Problem "Filesharing" und nicht "Piraterie" nennen sollten. Besonders die Amerikaner sind sehr verwirrt, wenn es jemand von der "Piratenpartei" ist, der darauf besteht, den Begriff "Piraterie" fallen zu lassen. Ich verstehe, wo die Piraten her kommen, aber sie haben sich sicher keinen guten Gefallen getan, sich zuerst den Namen zu eigen zu machen und dann zu versuchen, ihn aus den Debatten um Filesharing heraus zu halten.
Thiago: Bist Du jemand von denen die glauben, daß das Teilen von Content die Profite der Unterhaltungsindustrie direkt schädigt? Mehr Leute die teilen bedeutet zwangsläufig weniger zirkulierendes Geld und mehr Arbeitslosigkeit in der Industrie - oder ist das Bullshit?
Lexi: Das ist totaler, ausgewachsener Bullshit. Hör' zu, ich bin Teil dieses Systems. Ich habe mich intensiv mit der Verteilung von Profiten aus geistigem Eigentum im Filmgeschäft befaßt. Filesharing ist nicht das, was den Künstlern das Geld weg nimmt. Die großen Studios sind es. Aber schau', wie alle großen Unternehmen sind sie schlau und haben Geld, um ausnahmslos jeden von uns einer Hirnwäsche zu unterziehen, damit wir denken, die uns verbleibenden Schecks wären viel größer, wenn die Leute unsere Filme nicht illegal herunterladen würden. Scheiß drauf, sie sagen das zu uns Filmemachern, während sie gleichzeitig gerade dabei sind, uns bis auf das letzte Hemd zu berauben. Die wahren Artful Dodgers [kindlicher Trickdieb von C. Dickens] sitzen in der MPAA (Motion Picture Association of America).
Thiago: Filesharing hat, in der Tat, die Industrie verändert? Auf welche Weise?
Lexi: Ich denke, was sich verändert hat ist, daß Hollywood die Öffentlichkeit nicht mehr länger dazu überlisten kann, für einen schlechten Film eine Karte zu kaufen. Wenn über einen Film etwas durchsickert (was letztlich immer passiert) und die Filesharer heraus bekommen werden, daß der Film eine echte Bombe ist, werden sie diesen Tipp genau so schnell wie gute Mundpropaganda verbreiten. Prinzipiell kann man also im digitalen Zeitalter die Leute nicht mehr so sehr bescheißen, da der Vorhang viel früher hochgezogen wird. Darüber hinaus hat das Publikum wenig Geduld, auf die Veröffentlichung eines Filmes zu warten, wenn er schon vor Monaten in anderen Ländern veröffentlicht worden ist. Und das ist recht so. Der Bullshit, daß manche Länder in den Genuß von früheren Aufführungen kommen, bevor der Rest der Welt dran kommt, ist elitär und herablassend, insbesondere da sie ja von uns erwarten, daß wir im Internet über ihre Produkte reden. So sollen wir also den Europäern und Südamerikanern etc. erzählen, wie toll der Film ist... während sie keine Chance haben, ihn zu sehen. Das ist ungeheuerlich. Das ist wie ein gemeines, reiches Kind, das mit seinem Eis von den Gesichtern anderer Kinder herum wedelt, wohl wissend, daß sie sich kein's leisten können oder das Eisauto verpaßt haben. Ehrlich gesagt, weigere ich mich, an diesem Elitarismus beteiligt zu sein.
Thiago: Für mich sieht es so aus, als ob Hollywood vergessen hätte, junge Leute in ihrer eigenen Sprache anzusprechen. Stimmst Du dem zu?
Lexi: Absolut! Gleichzeitig bin ich aber von den jungen Leuten enttäuscht, die das nicht krumm nehmen. Ihr seid die Konsumenten, entscheidet wem ihr Euer Geld gebt. Ich bin gegen die Kriminalisierung von Filesharing, was mir in Hollywood viel zu schaffen gemacht hat, da es ein unpopulärer Standpunkt ist, den man einnehmen kann. Viele andere Filmmacher werden offen sagen, daß sie glauben, jeder der einen Film herunterläd, solle mindestens zehn Jahre Gefängnis bekommen. Weshalb sollen also junge Leute Karten für den Film dieses Regisseurs kaufen? Der selbe Typ, der sie in's Gefängnis werfen würde (denn seien wir doch ehrlich, jeder unter Zwanzig, der sich einen Computer leisten kann, hat irgendwann einen Film, ein Musikstück oder eine Fernsehshow herunter geladen). Deshalb sollten junge Leute also nachforschen, welchen Standpunkt der Filmmacher zum Thema Filesharing einnimmt, bevor sie überhaupt Geld für ihn ausgeben.
Thiago: Hat Dir diese Position, die in der Tat nicht die populärste ist, irgendwelche Probleme in diesem Markt bereitet, nachdem Du sie öffentlich gemacht hast?
Lexi: Ja, aber das war es wert. Ich vertrete nicht den Status Quo, nur weil man das von mir erwartet. Die ganze Idee, Filesharer festzunehmen ist lächerlich und in hundert Jahren wird es dann lustige Cartoons über jene Idioten geben, die versucht haben, den technischen Fortschritt zu kriminalisieren. Ich möchte in diesen Cartoons nicht vorkommen und wenn das bedeutet, daß meine Kollegen mich deshalb ausschließen und auf eine schwarze Liste setzen werden... um so besser. Die Cartoons über sie werden besonders lustig sein.
Ich glaube außerdem, daß wir die Verantwortung haben, Kultur für alle Menschen zugänglich zu machen, nicht nur für jene, die es sich leisten können in's Kino zu gehen. Ich denke viele meiner Kollegen haben keinen blassen Dunst über den globale Prozentsatz von Leuten, die NIE ein Kino besuchen können, schon gar nicht mit der ganzen Familie. Ich möchte keine Filme für die Reichen machen. Deshalb bin ich nicht Filmmacherin geworden. Ich glaube auch nicht, daß Leute die weniger Glück im Leben hatten warten sollen, bis ein Film im öffentlichen Fernsehen umsonst erstaufgeführt wird, während reichere Leute ihn Monate früher zu sehen bekommen. Denke darüber nach. Kultur ist in nahezu allen Berufen von Bedeutung, wenn sich also zwei Leute für einen Job vorstellen... einer davon kann sich über dem neusten Kassenschlager unterhalten, da er es sich leisten konnte, ihn im Filmtheater zu sehen und die andere Person kann das nicht, einfach weil sie oder er sich die Karte nicht leisten kann... dann trägt meine Industrie - mit ihren Einschränkungen der Distribution unseres Produktes - direkt zur ökonomischen Ungleichheit bei. Ich möchte nicht Teil davon sein. Wenn meine Kollegen für eine Minute innehalten würden, um über sich selbst zu reflektieren und stattdessen darüber nachdenken würden, was für ein Wunder Filesharing ist und wie nützlich das sein könnte... dann könnten wir die Welt wirklich verändern. Aber schau' nur... wenn kein Paparazzi in der Nähe ist... sind in Hollywood auch nicht so viele Philanthropen zu finden.
Thiago: Wie könnte die Unterhaltungsindustrie vom Filesharing profitieren? Wie könnten sie dies möglicherweise zu ihrem Gunsten nutzen?
Lexi: Sie tun dies bereits, aber sie würden es nicht zugeben. Vielen, vielen Filme hat die Mund-zu-Mund Werbung durch Piraterie geholfen. Die Sache mit der Filmindustrie ist, sie möchten nicht mit Filesharing arbeiten... sie wollen es kontrollieren. So wie das, was mit Napster passiert ist. Du hörst nicht, wie sich Apple und Amazon über digitalisierte Aufnahmen beklagen, nein?
Thiago: Gibt es eine Besonderheit an der Piraterie, die Dich stört? Z.B. daß gestohlene Filme geleakt werden, bevor sie fertig sind?
Lexi: Hör mal, kein Filmemacher mag seine Filme in einem unfertigen Zustand gezeigt haben. Ich weiß daß das passiert, aber wenn Du Filme liebst und Respekt vor der Kunst hast... dann sehe Dir keine illegalen Mitschnitte an. Ich meine... ganz im Ernst... Leute die sich Videocam-Mitschnitte ansehen sind armselig für mich. Das ist wie unglaublich mieses, mieses Bier trinken, das irgend ein Amateur gebraut und dann mit Wasser gestreckt hat. Das ist krass! Dir entgeht so viel vom Film, woran so viele Menschen gearbeitet haben. Bildeinstellung und Beleuchtung sind für Dich vielleicht nicht wichtig, doch sie sind es. Du nimmst es nur nicht als solches wahr. Ich kann Dir trotzdem versprechen, wenn Du korrekte Bildeinstellung und Beleuchtung weg läßt... weil ein Idiot eine Kinoleinwand mit einer Handkamera abfilmt, betrügst Du Dich selbst um das wirkliche Erlebnis dieses Films. Was ich also damit sagen will ist, wenn Du Mist kopierst... kopiere ihn gut und mit dem Respekt den er verdient (zur Info, wenn es um Pornos geht, ist das egal).
Thiago: Lassen wir dieses Thema: Ich möchte Deine Meinung zum derzeitigen Anteil von Frauen in der Filmindustrie hören. Sowohl was Regie als auch Hauptrollen in Superhelden Filmen betrifft, zum Beispiel. Was fehlt immer noch für ein gleichberechtigteres Hollywood?
Lexi: Es ist verheerend, verheerend, verheerend und es wird schlimmer. Und übrigens, die Leute verstehen nicht, daß der Kampf der MPAA gegen Piraterie und Hollywoods starrsinniger Ausschluß von Frauen und ethnischen Minderheiten direkt zusammen hängen. Reiche, eigennützige Arschlöcher sind reiche, eigennützige Arschlöcher bezüglich so gut wie allem, was mit der Geldmenge zu tun hat, die sie verdienen oder möglicherweise verlieren könnten. Gerne teilen tun sie überhaupt nichts und sie werden mit Sicherheit niemandem Platz am Tisch machen, der nicht so wie sie ist. Wenn Du in Hollywood kein weißer Mann bist, mußt Du Dir mit den Ellbogen einen Stuhl am Tisch erkämpfen und ihn danach die ganze Zeit weiter verteidigen. Nur ist es so... an diesem Tisch verlierst Du bald den Appetit, denn wer möchte in solcher Gesellschaft speisen.
Meine Hoffnung ist, daß die digitale Technologie für noch mehr Gleichheit sorgen und schließlich die Vetternwirtschaft eliminieren wird. Aber die Technik kann das nicht allein. Auch das Publikum muß noch kritischer werden und nicht auf jeden großen Eventfilm hereinfallen, weil es per Hirnwäsche dazu gebracht wurde zu denken, das ist der Film, den man sehen muß. Ich meine, wir haben kaum noch Originalfilme. Jungs, es ist alles Mist, was wir Euch servieren. Junge Leute sollten genau hinsehen, ein besseres Produkt verlangen, wählerisch sein, nicht einfach nur Coca Cola oder Pepsi trinken, weil das die einzige Sodagetränk-Marke ist, die einem einfällt. Rege Dich stattdessen darüber auf, daß es zwei Marken geschafft haben, in Deinem Hirn so Platz einzunehmen, den sie sich hauptsächlich mit Abermillionen Dollars für manipulative Werbung gekauft haben. Ich hoffe, hoffe wirklich, daß die kommenden Generationen nicht derart leicht getäuscht werden können. Solange ich noch Filme und TV-Shows mache, habe ich Hoffnung.
Thiago Cardim macht PR und ist Journalist. Überzeugt, verrückt, Film- und Fernseh-Nerd. Ein entschiedener Vegetarier und er ist Vater von zwei Kindern. :)
Englische Version: "An Interview from Brazil featuring Lexi Alexander". Copyright: Thiago Cardim und Lexi Alexander CC: BY-NC-SA, was auch der Standard-Lizenz dieses Blogs entspricht.
Meta: Antirassismus,
Copyright,
Feminismus,
Filesharing,
Filmdistribution,
Frauenanteil,
Gerechtigkeit,
Gleichberechtigung,
Greenstreet Hooligans,
Hollywood,
Kultur,
Kunst,
Lexi Alexander,
Lifted,
Mundpropaganda,
Teilhabe,
Unterhaltungsindustrie,
Verw,
Vetternwirtschaft,
War Zone
Erstellt: 30. Januar 2015 14:45
Geändert: 14. Oktober 2020 21:12
URL: http://blog.ufocomes.de/index.php?id=137