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Experten fordern US-Behörden auf, das weltweit am häufigsten eingesetzte Herbizid neu zu bewerten

19. Februar 2016 23:13

Autor: Brian Bienkowski für Environmental Health News, 17.02.2016
Übersetzung: BrunO




© Foto: Oregon Department of Agriculture CC: BY-NC-ND via flickr 
Historische Aufnahme, Pendelton, undatiert. Getreideanbau, Sprayen von Agro-Chemikalien.


Ein am Dienstag (16.02.2016) veröffentlichtes wissenschaftliches Gutachten warnt, daß der Einsatz von Glyphosat extrem zugenommen habe und in den 20 Jahren seit der Einführung von gentechnisch manipulierten Nutzpflanzen ("Roundup Ready"/für Roundup vorbereitet) auf das Fünfzehnfache angestiegen ist. Die Gesundheitsbehörden der Regierung haben nach ihrer Ansicht versagt genau zu überwachen, wieviel des Herbizids in die Nahrung und die Körper der Menschen gelangt und welche Folgen das für unsere Gesundheit haben könnte.

"Es ist an der Zeit, Wissenschaft und Regulierungsbehörden der Welt aufzufordern, einen neuen, umfassenden Blick auf Glyphosat zu werfen, da jeder auf diesem Planeten damit belastet ist oder belastet werden wird", sagt Senior-Autor Charles Benbrook, ein Agro-Ökonom und Berater der Benbrook Consulting Services.

Wie aus dem Gutachten hervorgeht, nahm der Einsatz von Glyphosat als Bestandteil von Herbiziden seit seiner ersten Verwendung in den 70er Jahren exponentiell zu. Die im Journal "Environmental Health" veröffentlichte Studie wurde von 14 überwiegend universitären Gesundheitsforschern verfaßt. Pete Myers, Gründer und Chefwissenschaftler von Environmental Health Sciences und Herausgeber von EHN.org, war der Hauptautor des Berichtes.

Glyphosat, als Roundup am allerbesten bekannt, jedoch unter einer Vielzahl an Markennamen auf dem Markt, ist die am meisten verwendete landwirtschaftliche Chemikalie der Weltgeschichte. Weltweit wurden seit 1974 grob 9,4 Millionen Tonnen der Chemikalie auf Felder gesprüht. Fast 75 Prozent dieses Einsatzes fand nach einem anderen Bericht, den Benbrook bereits in diesem Monat (Februar 2016) veröffentlicht hat, in den letzten 10 Jahren statt.

Diese Zunahme bedeutet nach Aussage der Wissenschaftler, die sich mit diesen Daten befaßten, daß die Benchmarks und Grenzwerte der Regierung dem tatsächlichen Belastungsrisiko hinterher hinken. Das gilt gleichermaßen für die Öffentlichkeit wie die Umwelt.

Bundesgesundheitsbehörden wie das U.S. National Toxicology Program, die U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sind, wie es im Bericht heißt, nicht auf dem neusten Stand.

"Seit den späten 80ern wurden nur ein paar wenige Studien an die US-Umweltbehörde (EPA/Environmental Protection Agency) übermittelt, die zur Identifikation und statistischen Erfassung von Gesundheitsrisiken für den Menschen relevant waren", so schrieben die Autoren und ergänzten, daß solche Bewertungen gemäß dem "aktuellen wissenschaftlichen Stand" erfolgen sollten.

Die Wirkung von Glyphosat, Hauptbestandteil vieler Unkrautvernichtungsmittel, beruht überwiegend auf der Hemmung eines Enzyms, das in Säugetieren nicht vorkommt, deshalb wurde ursprünglich angenommen, die Chemikalie wäre für Menschen und andere Wirbeltiere mit einem geringen Risiko verbunden.

Trotzdem gab es zunehmend Belege, daß eine Belastung mit Glyphosat alles andere als harmlos sein könnte. Das US-Landwirtschaftsministerium fand 2011 in 90% von 300 Proben Glyphosat in Sojabohnen, die britische Food Standard Agency stellte es 2012 in 27 von 109 Brot-Proben fest.

Glyphosat wurde mit Leber- und Nierenproblemen als auch Geburtsfehlern in Verbindung gebracht und es stellt eine Gefahr für die störungsfreie Funktion von Hormonen dar. Seit ein paar Jahren hegen Forscher zunehmend den Verdacht, es könnte zumindest teilweise etwas mit der weitverbreiteten Epidemie von Nierenerkrankungen in Sri Lanka und Teilen von Indien als auch Zentralamerika zu tun haben.

Im März des letzten Jahres hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheits-Organisation (WHO) den Status von Glyphosat von einem "möglichen" Krebserreger zu einem "wahrscheinlichen" geändert.

Eine der Hauptunzulänglichkeiten die im Bericht festgestellt werden ist, daß nicht auf endokrine Disruption getestet wird, sagte Frederick vom Saal, Biologe an der University of Missouri und Co-Autor der Arbeit. Es gibt eine zunehmende Evidenz, daß Glyphosat menschliche Hormone beeinträchtigen kann, was zahlreiche spätere Gesundheitsfolgen nach sich ziehen kann.

Die Standardtests der Behörden bestehen überwiegend darin, Labortiere hohen Dosen einer Chemikalie auszusetzen und anschließend nach auffälligen Folgen zu suchen, wie etwa Gewichtsveränderungen von Organen oder andere Fehlfunktionen, sagte vom Saal. "Es wird sehr wenig unternommen, Entwicklungsprobleme zu untersuchen."

Die in den 70er Jahren zur Zulassung von Glyphosat durchgeführten Studien waren "sehr bescheiden", sagte Benbrook. "Dosen in sehr hohen Bereichen sind problematisch, da die Forschung zu Entwicklungsproblemen in Zusammenhang mit endokriner Disruption wiederholt gezeigt hat, daß Chemikalien bei sehr viel niedrigeren Werten sehr subtile Wirkungen haben können", sagt er.

Die US-Umweltschutzbehörde (EPA) stellte in Juni 2015 in einem Bericht (PDF-Link) fest, daß es für Glyphosat als endokriner Disruptor "keine überzeugende Evidenz" gäbe.

EPA-Sprecher Robert Daguillard sagte, die Behörde wird den neuen Bericht prüfen und wies weiter darauf hin, daß sie gerade dabei wären, erste Risikoabschätzung zu Gesundheit und Umwelt abzuschließen, welche voraussichtlich 2016 zur öffentlichen Anhörung publiziert werden.

Die Gesundheitsbedenken stehen mit zunehmendem Gebrauch und allgegenwärtiger Exposition in direktem Zusammenhang. Während der letzten zehn Jahre war Glyphosat stets Teil der Debatte um genetisch veränderte Nahrungsmittel, da das meiste Saatgut von Firmen wie Monsanto, Hersteller des populärsten Glyphosat-Herbizids, genetisch dahingehend verändert ist, das Herbizid zu tolerieren.

Wenn Nutzpflanzen wie Mais und Sojabohnen über eine derartige Immunität verfügen, können Bauern ihre Felder komplett besprühen. Dies hat einen Teufelskreis in Gang gesetzt, in welchem Unkrautpflanzen zunehmend gegen die Herbizide resistent werden, was immer mehr Sprühen erforderlich macht.

"Das geographische Ausmaß und die Heftigkeit der Herausforderungen, mit denen die Unkrautkontrolle weltweit durch das Aufkommens und die Verbreitung von Glyphosat-resistentem Unkraut konfrontiert wird, ist etwas noch nie Dagewesenes", schrieben die Autoren.

Glyphosat-Herbizide haben sich als kontrovers erwiesen und sind erst kürzlich unter Druck geraden. Letzte Woche haben 35 Demokraten im Repräsentantenhaus einen Brief (PDF-Link) an die EPA geschrieben und die Behörde gedrängt, in Anbetracht der Krebs-Bewertung der WHO eine neue Risikoeinschätzung des Glyphosat-Herbizids Enlist Duo von Dow Chemical Co. durchzuführen.

"Die EPA hat Enlist Duo zugelassen, ohne diese Krebs-Bewertung zu berücksichtigen und ohne eine einzige der Studien zum Krebsrisiko durch Glyphosat zur Kenntnis zu nehmen, die in den letzten zwanzig Jahren veröffentlicht worden sind", schrieben die Abgeordneten unter Führung der Repräsentanten Earl Blumenauer und Peter DeFazio.

Dow Chemical Co. hat auf eine Bitte um Stellungnahme zur aktuellen Studie nicht geantwortet. Die Monsanto-Sprecherin Charla Marie Lord antwortete per Email, daß die Bedenken der Studie nicht mit dem übereinstimmen, was Regulierungsbehörden festgestellt hätten.

"Keine Regulierungsbehörde auf der Welt hält Glyphosat für ein Karzinogen", meinte sie. "Regulierungsbehörden hatten keinerlei Bedenken bezüglich Gesundheit gehabt, welche solche Untersuchungen notwendig machen würden, wie sie die Autoren dieser Arbeit vorschlagen."

Der Konzern erhob Januar 2016 eine Klage gegen das kalifornische Amt zur Abschätzung von umweltbedingten Gesundheitsgefahren (Office of Environmental Health Hazard Assessment), deren Zweck darin besteht zu verhindern, daß Glyphosat in die staatliche Liste bekannter Karzinogene aufgenommen wird.

Niemand weiß, welche Wirkung ein Statement einer Gruppe von Wissenschaftlern auf die Bundespolitik haben kann. Doch vom Saal sagte, selbst wenn die EPA ihre Testmethoden nicht verändert, könnte dieses progressivere Staaten wie Kalifornien zum Handeln anregen.

Benbrook sagte, ein zeitgemäßer, von unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführter Test ist längst überfällig.

"Schön wäre, wenn sie nichts fänden und wir wie gehabt weitermachen könnten", sagte Benbrook. "Doch selbst wenn es nur eine geringe Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Auswirkungen gibt und es jeden Menschen auf diesem Planeten betrifft, sollte uns das zur Vorsicht veranlassen."



Der Originaltext "Experts call on feds to re-evaluate the world’s most heavily used herbicide" wurde unter CC: BY-SA veröffentlicht. Für diese Übersetzung gilt das Lizenzmodell dieses Blogs CC: BY-NC-SA.



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Charles Benbrook: @chuckbenbrook


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Erstellt: 19. Februar 2016 23:13
Geändert: 22. Februar 2016 17:53
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