Am 26.7.2009 beschrieb der Berliner Musiker und Slammer Kolja Reichert in einem Artikel im Tagesspiegel wie verschiedene Künstler bereits heute mit Hilfe des Internets sich selber promoten und ohne Hilfe eines Labels (Vertriebskonzern) vermarkten. Amanda Palmer, Nine Inch Nails und andere verdienen auf diese Weise besser und können einen direkteren Kontakt zu ihren Fans herstellen. Unbekanntere Künstler müssen nicht warten bis sie von einem Major entdeckt und in einen Knebelvertrag gezwungen werden bei dem sie kaum noch Einfluß auf ihr eigenes Image haben. Courtney Love hat dies vor Jahren beeindruckend geschildert.
Heise online berichtete am 03.08.2009, daß viele Musik-Junkies bereit sind für einen Download mehr als die geforderte Summe zu zahlen, wenn sie die Höhe der Bezahlung selber bestimmen können und die uneingeschränkte Möglichkeit haben die Musik vorher anzuhören.
Die Piratenpartei fordert nicht wie immer unterstellt eine Abschaffung wohl aber eine Reform des Urheberrechts im Sinne des Allgemeinwohls im digitalen Zeitalter. Die Musikindustrie pocht nach wie vor auf ihr Recht, die Arbeit von Künstlern zu verwerten und würde das Internet am liebsten abschaffen. Die GEMA ist von einer Einrichtung zum Schutz der Rechte aller Musiker zu einer verkommen, die große bekannte Künstler bevorzugt und weniger bekannte benachteiligt. Kleine Veranstalter werden mit einem absurden Bürokratieaufwand und mit Gebühren für jeden musikähnlichen Furz drangsaliert.
Eine kleine, mutige Sängerin klagt gegen die große GEMA. Barbara Clear sieht nicht ein, daß sie für alle Songs die sie in ihren Konzerten singt Gebühren zahlen muß und kaum 8% zurück bekommt, obwohl sie überwiegend eigene Lieder singt. Dafür darf sie im Jahr über 16.000 Euro von ihren Einnahmen abdrücken. Sie kann bestimmt noch weitere Spenden für Prozeßkosten gebrauchen.
Eine genervte Veranstalterin eines bayerischen Kulturzentrums initiierte im Mai dieses Jahres eine Bundestagspetition um die bisherige Praxis der GEMA auf Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und bessere Bedingungen für Kleinveranstalter zu erreichen. Es gab ungefähr 110.000 Mitzeichner. Ob diese ebenso im Nirvana zerstieben wie jene gegen Websperren wird sich zeigen. Eine beachtliche demokratische Willensbekundung und Anstoß zu öffentlicher Diskussion jenseits des Webs ist es allemal.
Das ist schon schlimm. Die digitale Technik die das Internet macht stellt nicht nur bisherige Geschäftsmodelle in Frage, sondern bietet ihren Benutzern auch noch Möglichkeiten sich gegen die Interessen der Vertreter antiquierter Geschäftsmodelle zu wehren. Wenn aber immer vom freiem Markt geredet wird müßten eigentlich jene die in’s Hintertreffen geraten sind viel leichter einsehen, daß ihre Zeit vorbei ist. Branchen und Berufe sterben aus. Wer braucht heute noch einen Bierrufer oder einen Angstmann?
Ein Musiker braucht längst kein großes, teueres Studio mehr, wenn er mit dem Rechner umgehen kann. Wie die Beispiele in Koljas Artikel zeigen werden Labels (Plattenfirmen) immer überflüssiger. Was sie früher den Künstlern als teuere Dienstleistung geboten haben kann heute ohne sie mit weniger Aufwand erledigt werden.
Ich muß hier jedoch anmerken, daß sich mit der Verfügung über Produktionsmittel nicht automatisch Kreativität und bessere Musik einstellen. Die vorhandenen Reste der Musikindustrie kranken aber ebenfalls aufgrund jahrzehntelanger Domestizierung der Musik an unsäglicher Einfallslosigkeit. Selbst Rebellen die unter ihrem Gedüdel aufwachsen mußten können heute nur noch in Endlosschleifen und nicht in musikalischen Strukturen denken.
Musiker sind bekanntlich glücklich wenn sie spielen dürfen. Leider haben sie ähnliche Bedürfnisse wie ganz normale Menschen und brauchen Geld. Die Bezahlung auf freiwilliger Basis ist nicht der einzige Ansatz, Künstlern für ihre Arbeit ein Einkommen zu gönnen. Die Piraten u.a. diskutieren eine Kulturflatrate als pauschale Bezahlung durch die Konsumenten. Wenn jeder für digital konsumierte Kultur eine Abgabe leisten müßte könnte der vom einzelnen zu erhebende Betrag niedrig gehalten werden. Man müßte es nur besser und fairer organisieren als die GEMA. Dazu bräuchte man genau ein Bureau und einen großen Server. Keine Behörde, außer eine zur Aufsicht und keine Konzerne! Alles andere läuft wie Toll Collect, Hartz-IV Software, A380, Gesundheitskarte usw. In Deutschland wäre das Internet lange noch nicht fertig.
Ein weiteres Vergütungsmodell schlägt SellYourRights vor: Der Künstler verkauft die nichtkommerzielle Nutzung seines Oevres an die Allgemeinheit. SellYourRights bietet für diesen Deal die Plattform an. Dort nennt der Künstler den Preis und wählt ein Creative-Commons-Lizenzmodell. Danach bewirbt er sein Angebot bei seinen Fans und anderen Interessierten. Diese können über eine Webapplikation binnen 15 Tagen verbindlich den Preis angegeben, den sie zu zahlen bereit sind. Diese Widgets kann der Künstler auf beliebigen Webseiten und sozialen Portalen einbinden. Wenn nach 15 Tagen weniger als die angestrebte Summe zusammen gekommen ist steht es ihm frei, sein Werk dafür oder gar nicht an die Allgemeinheit zu verkaufen.
Falls dieses Modell funktioniert und es nach der offiziellen Eröffnung des Portals bei 20% Gebühren bleibt, kämen die Künstler mit 80% der Einnahmen recht gut weg. Der prozentuale Anteil am Verkauf von Tonträgern war in der Vergangenheit viel geringer. Zur Zeit ist der Service kostenfrei, da sich das Portal in der Entwicklungsphase befindet. Solche Ideen beleben das Geschäft! – Der Markt wird entscheiden, egal ob das den Majors paßt oder nicht.
Wir brauchen noch viel mehr Ideen zum Ausprobieren. Wir sollten lieber unsere Fantasie anstrengen anstatt der Vergangenheit nachtrauern. Für Nostalgiker und Romantiker wird es immer Nischen geben. Das Fernsehen hat das Radio nicht umgebracht. Das Internet wird Fernsehen und Radio nicht abschaffen sondern eher integrieren. Bleigedruckte Bücher und schön gemachte Zeitschriften, Kerzen, Wein und ab und zu Kino wird es immer geben. Das Alte bleibt zum Vergnügen, selbst wenn das Neue zum alltäglichen Gebrauch besser taugt.
Das Internet wird für eine Demokratisierung unter den Stars sorgen. Der größte Teil des Kuchens wird nicht wie bisher nur auf ein paar wenige große Megastars verteilt. Unbekannte Künstler werden mehr Chancen haben ihr Publikum und ein Auskommen zu finden.
Das böse Internet läuft langfristig womöglich sogar auf eine Neuorganisation der Wirtschaft hinaus. Werden große Konzerne verschwinden?
Anmerkung zum nicht erwähnten Bedingungslosen Grundeinkommen:
Das BGE würde nicht nur Musikern eine große Sorge abnehmen. Dessen Durchsetzung dürfte aber noch schwieriger als ein verbessertes Urheberrecht sein.