Vor der Wahl habe ich der FDP gewünscht, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Dazu stehe ich nach wie vor. Nun wird die FDP Regierungsverantwortung übernehmen und kann beweisen, ob sie wie im Wahlkampf behauptet eine Partei der Bürgerrechte oder nicht doch jene ist, die den letzten Rest an Sozialstaat weg liberalisiert.
Damit mir niemand den Vorwurf machen muß, die FDP von einer realitätsfernen linken Position aus zu kritisieren, entnehme ich die Vorgaben an denen sie sich messen lassen muß der Festrede unseres Bundespräsidenten zum 60-jährigen Bestehen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom 05.10.2009.
Dr. Horst Köhler lobt die Gewerkschaften und stellt deren Notwendigkeit nicht in Frage. Er appelliert aber auch an ihre Kooperations- und Kompromißbereitschaft. Gerade das Miteinander und ein Ausgleich zwischen den Interessen hat nach seiner Ansicht den bisherigen wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands erst ermöglicht.
Für dieses Miteinander unterschiedlicher Interessen sind ihm drei Dinge wichtig: soziale Teilhabe, kooperatives Klima und die betriebliche Mitbestimmung.
Unter sozialer Teilhabe versteht er, daß sich möglichst jeder gebraucht, ernst genommen und nicht ausgeschlossen fühlt. Er macht dies vor allem an der Arbeit fest, was auf einer Gewerkschaftsveranstaltung wenig wundert. Ich wüßte gerne, ob er wie die Gewerkschaften an eine zukünftig noch mögliche Vollbeschäftigung glaubt. 1977 promovierte er mit “Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt”.
Soziale Teilhabe kommt als Wortkombination weder im Kurzwahlprogramm (PDF-Link) noch im Parteiprogramm (PDF-Link) der FDP vor. Man kann so etwas in die begrüßenswerte Forderung nach besserem Bildungszugang hinein interpretieren. Eine wie auch immer soziale Teilhabe kommt im großen Programm im Zusammenhang mit dem Bürgergeld auf Seite 9 als Chance vor. Weiter hinten auf Seite 38 taucht Teilhabe im Kontext von Behinderung auf. Dort wird das flächendeckende, trägerübergreifende Budget gefordert. Ich gebe zu, daß ich mich auf diesem Gebiet wenig auskenne und nicht beurteilen kann, ob die Forderungen der FDP über die Ansprüche nach SGB IX §17 hinaus gehen. Ich bitte daher alle denen diese Leistungen zustehen, sich regelmäßig beim FDP-Abgeordneten des Vertrauens nach weiteren Fortschritten zu erkundigen.
Eine wie auch immer soziale Teilhabe kommt im Parteiprogramm löblicherweise auch im Zusammenhang mit Demokratie und Kultur vor. Und wie im Flyer lese ich etwas von Bildung. Beim Weitersuchen-Klick lande ich bereits im Stichwortverzeichnis.
Nun suche ich nach kooperativem Klima, doch fündig werde ich nur bei der Suche nach “Klima”. Das Thema kommt sogar sehr oft vor. Die FDP kann also beweisen, daß sie über Umweltschutz nicht nur redet, indem sie sich effektiv für eine qualitative Verbesserung der natürlichen Lebensbedingungen engagiert. Das dürfte aber schwer sein, wenn sich Umweltschutz rechnen muß. Dann wird erst wenn es zu spät ist etwas getan, erst wenn die Schäden zu teuer geworden sind.
Um nicht völlig von den Gedanken unseres Bundespräsidenten abzuschweifen frage ich, was die FDP von der betrieblichen Mitbestimmung hält.
Die Freie Demokratische Partei hält nichts von Mitbestimmung, sieht darin sogar einen Standortnachteil für Deutschland. Auf Seite 13 heißt es: “Die Kosten der betrieblichen Mitbestimmung müssen begrenzt, die gesetzlich vorgegebene Zahl der Betriebsratsmitglieder deutlich reduziert werden.” Es lohnt immer wieder, auf die Bundestagswahl von 2005 zurück zu blicken. Damals wollte die FDP die Mitbestimmung in ihrer heutigen Form gleich ganz abschaffen.
Um noch ein bißchen weiter zu bashen, suche ich nach Stellen im Parteiprogramm, an denen Gewerkschaften erwähnt werden.
Seite 12 unten: “Wenn die Belegschaften und Arbeitgeber vom Tarifvertrag abweichende Regelungen wollen, muss Ihnen eine entsprechende Vereinbarung auf betrieblicher Ebene ermöglicht werden, und zwar ohne dass eine Zustimmung der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände erforderlich ist.” – Ich bin erschüttert, die FDP hat sogar etwas gegen die “Gewerkschaft” der Arbeitgeber!
Ich gebe es auf. Ich beende diesen Artikel vorzeitig!
Doch Leider kann man derzeit nichts zur FDP schreiben, ohne auf das Bürgergeld einzugehen. Herr Köhler möge mir das nachsehen. Er sprach immerhin von den Herausforderungen der Zukunft, zu welchen ich solche Ideen wie das Bedingungslose Grundeinkommen zählen möchte.
Zuvor muß ich seine Rede nochmal ausdrücklich loben. Nicht wegen den immer noch ungebändigten Monstern der Finanzmärkte, mit denen er in der Profi-Presse zitiert wurde. Er fordert die Gewerkschaften dazu auf sich Themen anzunehmen, die jenseits der bloßen Vertretung von Arbeiterinteressen liegen. Die Gewerkschaften sollen sich in die Gestaltung der Zukunft einmischen und die Interessen aller Menschen vertreten. (Also nicht nur die der beitragszahlenden Mitglieder!) Er möchte den gesellschaftlichen Fortschritt nicht wie bisher nur ökonomisch am Bruttosozialprodukt gemessen sehen, sondern am Wohlergehen des Menschen selber. (Das war keine Sonntagsrede! Das war an einem Montag und die Revolution wird wieder an einem Montag kommen, weil das der blödeste Tag der Woche ist!)
Das Bürgergeld der FDP ist umstritten. Man kann es so sehen, wie es Götz Werner als einer der Erfinder des Bedingungslosen Grundeinkommens in der taz tut. Er versucht es als Schritt der Diskussion in die richtige Richtung zu sehen. Seine Vorstellungen sind aber andere.
Es gibt die Theorie, der FDP ginge es in den Koalitionsverhandlungen und vielleicht generell gar nicht um das Bürgergeld. Mit den Bürgergeld kann sie aber dem Koalitionspartner Zugeständnisse abpressen. Dabei können sich die C-Parteien als noch sozial-demokratischer wie bisher profilieren, indem man in Erwartung der noch ausstehenden Urteile (PDF-Link) des Bundesverfassungsgerichtes zur HartzIV-Gesetzgebung kleinere Verbesserungen andeutet. Es ist also eine echte Win-Win-Situation für beide Seiten.
Das Bürgergeld der FDP ist auf Seite 9 des großen antisozialistischen Parteiprogrammes beschrieben. Im Prinzip ist es HartzV. Die Leistungen werden vermutlich eher gekürzt und sind nach wie vor an die bekannten Bedingungen wie Zumutbarkeit einer Arbeit geknüpft und sanktionsbewehrt. Neu ist nur, daß die JobCenter und vermutlich auch der Staat abgeschafft werden sollen. Stattdessen mutiert das Finanzamt zur Big-Brother-Universalbehörde und zahlt das Almosen aus. Für die Looser gelten dann keine Bürgerrechte mehr. Für die kann und soll aus pädagogischen Gründen Arbeit eine Zumutung bleiben. Die tollen Jobs in denen man sich selbstverwirklichen kann bekommen FDP-Wähler.
Am übelsten finde ich die folgende schwammige Formulierung: “Der Bürgergeldanspruch für einen Alleinstehenden ohne Kinder soll im Bundesdurchschnitt 662 Euro pro Monat betragen.” Dies wird von den Profis gerne falsch zitiert. Es heißt nicht, das Bürgergeld soll 662 Euro betragen, sondern es soll im Durchschnitt 662 Euro betragen. Dieser sprachliche Unterschied läßt kreative Gestaltung nach unten zu. Nach oben angeblich auch. So heißt es wenige Sätze weiter: “Regionale Besonderheiten bei den Wohnkosten können mit Zuschlägen berücksichtigt werden.” Der angepeilte Durchschnitt dürfte in Anbetracht der deutschen Mietkosten kaum oder nur mit sehr kreativen Methoden zu halten sein.