Initiative Pro Netzneutralität

Wie Occupy die politischen Themen in den USA beeinflußt

30. November 2011 00:33

In gerade mal zwei Monaten hat die Occupy-Bewegung damit angefangen ein Dogma vom Sockel zu stoßen das seit dreißig Jahren galt.

Von Robin Broad und John Cavanagh für YES! Magazine, 22. November 2011
Übersetzung: BrunO

© Foto: StreetSense_DC CC: by-nc-sa via flickr 

Wenden wir unseren Blick für einen Moment von den reißerischen Überschriften ab, in denen die Polizei Occupy-Lager in Oakland, New York und anderen Städten schließt und sehen wir uns einen sonnigen Tag im frühen November hier in Washington, D.C. an. Vor dem imposanten Gebäude des Finanzministeriums haben sich tausende Pflegerinnen und Pfleger in roten T-Shirts versammelt und halten große Schilder in die Höhe, auf denen steht: “Amerika heilen: Die Wall Street besteuern!” und “Timmys Freunde besteuern!” (womit US-Finanzminister Timmy Geithner gemeint ist). Sie und ihre Verbündeten marschierten anschließend zur Bank of America, dann zum Occupy-Lager von D.C. und weiter zu den Korridoren des Kongresses. Ihre Sprechchören forderten eine Steuer auf spekulative Geschäfte, welche die Wall Street dominieren.

Diese PflegerInnen erinnern uns neben vielem anderen daran, wie weit wir gekommen sind, seitdem Occupy Wall Street am 17. September die ersten Zelte im Zuccotti-Park aufgeschlagen hat und wie sehr sich die Diskussion verändert hat. Sie erinnern uns daran, wie deutlich die Erfolge der Occupy-Bewegung waren, egal was mit diesen Zelten passiert.

Seit dreißig Jahren und bis zum 17. September war das vorherrschende nationale Leitbild von der allumfassenden Philosophie der Vertreter des freien Marktes wie Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Milton Friedman bestimmt. Ungefähr seit 1980 verkauften sie uns die Wunderkur, daß der Staat in den Hintergrund treten, Regulierungen abschaffen und dem “Freien Markt” und seinen großen Konzernen erlauben sollte, für uns alle Wohlstand zu schaffen. Obwohl die Ungleichheit zunimmt? Nach ihrer Auffassung brauchen wir uns darüber keine Sorgen machen. Das ist kein Problem, denn jeder hätte die Chance reich zu werden und wer es nicht wird – nun, der sei selber Schuld.

Seit Jahren haben sich Millionen von Menschen weltweit gegen diesen von der Elite eingeführten, die Elite begünstigenden “Washington Consensus” organisiert. In Brasilien haben z.B. landlose Arbeiter Ackerland besetzt und letztendlich geholfen, eine Regierung der 99% zu wählen. Ähnliche Bewegungen halfen in Bolivien, Uruguay, Ecuador, El Salvador, Venezuela und anderswo Regierungen zu wählen, welche gegen die 1% antraten.

Doch in den Vereinigten Staaten hatte die herrschende Lehre für Jahrzehnte Bestand, übertönte Opfer und Kritiker – überließ uns einem kaltschnäuzigen nationalen Weltbild, daß den obszönen Reichtum von ein paar wenigen, zunehmende Massenarmut und eine immer größer werdende Kluft zwischen beiden tolerierte.

Das heißt, tolerierte, bis Occupy Wall Street auf kam.

Die Schilder und Sprechchore Wir sind die 99%! haben den Bann gebrochen, den Schleier der Öffentlichkeit von den Augen gezogen um zu sehen, was sich in den letzten drei Dekaden tatsächlich in diesem Land und in der ganzen Welt abgespielt hat.

Messen wir dem, was die egoistischen Mainstream-Experten der 1% über die Occupy-Bewegung sagen, keine besondere Bedeutung zu. Die Wahrheit ist, die Occupy-Bewegung hat längst gewonnen. Sie hat uns als Gesellschaft erfolgreich aus unserer Hypnose gerüttelt. Occupy hat als soziale Bewegung längst gewonnen, indem es die herrschende falsche Erklärung der Wirklichkeit durch die 1% in Frage gestellt und durch eine andere Deutung ersetzt hat, die das widerspiegelt, was die meisten Amerikaner für wahr halten.

Die Wahrheit: Die Regeln und das Gebaren der großen Konzerne und der US-Regierung der letzten drei Dekaden haben das System zugunsten der 1% manipuliert. Die Wahrheit: Die sich daraus ergebende Ungleichheit hat groteske Ausmaße angenommen, wie man sie seit den “goldenen Zeiten” vor hundert Jahren nicht mehr gesehen hat. Die Ungleichheit unterdrückt Millionen und zerstört zugleich unsere Demokratie.

Ignorieren wir auch, was uns die Experten der 1% darüber erzählen, wer bei Occupy mitmacht. Die Occupy-Lager sind mit mit verwöhnten, Party feiernden Studenten gefüllt. Es gibt dort normale Leute, manche sind arbeitslos, manche obdachlos, manche finden keine Arbeit und die meisten haben die Hoffnung verloren. Es sind Leute die es satt haben, dafür verantwortlich gemacht zu werden, sich allein zu fühlen und nicht gehört zu werden.

Nun werden sie gehört und sie fühlen sich nicht mit ihren Problemen allein.

Indem die Wall Street als Ort für den Anfang gewählt wurde, hat Occupy auf brillante Weise die allgemeine Wahrnehmung verändert und die Aufmerksamkeit auf die wahren Schuldigen gelenkt: eine Wall Street, die mit den mühselig verdienten Ersparnissen normaler Amerikaner Roulette gespielt und den Crasch von 2008 herbeigeführt hat. Eine Wall Street, die anschließend von den 1% im US-Kongreß mit Steuergeldern gerettet wurde.

Beachten Sie diese Experten nicht, die behaupten, Occupy würde scheitern, solange sie nicht bestimmte Forderungen aufstellt. Das ist nicht die Aufgabe einer sozialen Bewegung wie Occupy. Eher ist es so, daß die Occupy-Bewegung anderen Gruppen Raum, Kraft und eine Stimme geben kann, konkrete Forderungen im Sinne der 99% zu stellen, sofern sie die Aufmerksamkeit für die neue Sicht der Dinge am Leben halten kann. Wie im vorliegenden Fall: Jene PflegerInnen an jenem sonnigen Novembertag marschierten mit anderen Occupy-Unterstützern zusammen, um eine Steuer auf finanzielle Transaktionen der 1% zu fordern.

Als die Pflegerinnen in Washington deomonstrierten, waren tatsächlich drei von ihren Organisatoren mehrere tausend Meilen entfernt auf einer Demonstration in Frankreich, um auf die Regierenden der 20 größten Ökonomien einschließlich Präsident Obama Druck auszuüben, sich mit dieser Steuer anzufreunden. Die ökonomischen Berater von Obama hatten sich zuvor gegen diese Steuer selbst in anderen Ländern ausgesprochen. Doch dann berichtete die IPS-Kollegin Sarah Anderson aus Frankreich: “Nach den Protesten kündigte Obama an, er würde das Ziel unterstützen, daß die Finanzbranche für die Krise bezahlt und er würde anderen Ländern nicht in Weg stehen, eine Steuer auf Finanzspekulation einzuführen.”

Zusammengefaßt heißt das: Die Occupy-Bewegung verändert erfolgreich die politische Diskussion und öffnet damit die Tür zu vielen weiteren Möglichkeiten.


Quelle des Original-Artikels: "How Occupy is Transforming Our National Conversation"
Dieser Artikel steht unter der Creative Commons Lizenz: by-nc-sa


Zu den Autoren:

Robin Broad ist Professorin für Internationale Entwicklung an der American University in Washington, D.C. und hat als Ökonomin für internationale Wirtschaft im Finanzministerium und im US-Kongreß gearbeitet. Ihr Ehemann John Cavanagh leitet das Institute for Policy Studies und ist zusammen mit David Korten Vorsitzender der New Economy Working Group. Sie haben an drei Büchern zur globalen Ökonomie mitgearbeitet und sind nun national und international unterwegs um an einem neuen Buch zu arbeiten. Es soll “Local Dreams: Finding Rootedness in the Age of Vulnerability“ heißen (Lokale Träume: Im Zeitalter der Gefährdung die Verwurzelung finden).

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Erstellt: 30. November 2011 00:33
Geändert: 30. November 2011 01:02
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