Initiative Pro Netzneutralität

Generationswechsel

5. Juli 2009 05:09

Mit seinem vielbeachteten Artikel ‘Digitaler Generationenkonflikt’ lieferte Kai Biermann am 12.5.2009 auf ZEIT ONLINE ein wichtiges Stichwort. Damals kochte gerade die Wut über die Netzsperren hoch. In die beschriebene Kluft zwischen den Digital Natives und den analogen Oldies läßt sich vieles einordnen. Killerspiele stehen schon lange im Visier. Nach dem Angriff mit der Kinderporno-Industrie soll nun womöglich mit Online-Sucht (Todesopfern in China u. Korea) gegen das bedrohliche Internet hergezogen werden. Das Internet hat natürlich zerstörerische Kraft. Alles hat gute und schlechte Seiten. Sogar Schützenvereine.

Oft zerstört das Neue das Alte. Das tut manchmal weh und weckt wehmütig nostalgische Erinnerungen. Kaufhäuser und kleine Läden verschwinden gerade aus dem Innenstädten und wo gibt es noch eine Bäckerei in der gebacken wird? Wer schreibt denn heute noch schrecklich kitschige Liebesbriefe mit nach Erdbeeren riechender Tinte, auf feinstem Papier oder mit virtuos gekrakelten Blumen und bunten aufgeklebten aus Zeitschriften ausgeschnittenen Bildchen?

Auf DeutschlandRadio Kultur gibt es außer Freitags nachts zwischen Ein und Zwei Uhr eine Diskussionssendung, die ich sehr schätze. Leider hat sie mich zum Thema Internet bisher ein wenig in Stich gelassen. Selbst als Zensursula in aller Munde war, ging es immer um irgendwelche andere “Scheiße”.

Heute stand “Online-Sucht – wann wird das Internet zur Krankheit” an. Ich überlegte, ob ich da anrufen soll, hörte dann aber doch nur zu. Internet und Computer wurden in den meisten Beiträgen überwiegend nur als unbegriffene Konsumkiste dargestellt. Es gab einen Arzt, der sympathisch doof fragte, was man bei den Leuten eigentlich behandeln solle. Wie wäre es mit Lobotomie? Ein paar wenige konnten dem Web Positives abgewinnen. Darunter war verständlicherweise ein IT-Unternehmer, der seine Praktikanten liebevoll beobachtet und sich gespannt bis zuversichtlich fragt, was aus denen mit ihren völlig anderen Fähigkeiten wohl mal werden wird. Einer berichtete von positiven Erfahrungen bei der Vorbereitung zum Abi. Ein oder zwei Leute waren wohl heftige Spieler mit teilweise klinischen Symptomen wie verringertem Wortschatz. Ein Angstkranker erinnerte mich wieder daran, welche Chancen Computer behinderten Menschen bieten. Da wir uns solange wir nicht videochatten nicht sehen, diskriminieren wir einander auch nicht. Ich habe eine Weile mit einer Querschnittsgelähmten gemailt. Ihre Mails unterschieden sich nicht von unbehinderten Mails. Menschen mit einer Angsterkrankung eröffnet das Internet Möglichkeiten zur Kommunikation, die sie im realen Leben nicht haben.

Insgesamt bin ich über die heutige Sendung ein wenig enttäuscht. Dennoch möchte ich sie als Einrichtung nicht missen. Es gibt ein bunt gemischtes Inventar an Teilnehmern, von nervenden Trollen bis zu charismatischen, hoch seriösen, manchmal sehr kompetenten Diskutanten. Die Altersmischung dürfte ab Dreißig relativ homogen sein. Ich erinnere mich sehr gerne an eine Runde zu Bankenkrise und Managern. Die hätte ich mir als größere, öffentliche Veranstaltung gewünscht. So sollte es im Bundestag zugehen. Es sollten Leute reden, die von den Themen etwas verstehen oder sich ihnen frei von Ideologie und Wahlkampftaktik annähern können. Wir würden viel weiter kommen, wenn es zu jedem Problem ein Brainstorming gäbe, bei dem alle Optionen offen stehen und niemand schon vorher weiß, wie die Lösung aussieht. Wenn sich immer nur bestimmte Interessen durchsetzen, braucht man nicht diskutieren. Auch deshalb stellt das Internet für die Analogen eine unbequeme Gegenöffentlichkeit dar.

Abschließend mein Beispiel zur digitalen Kluft.

Ich kam auf die Idee, der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) quasi als persönliche Nachlaßsicherung eine CD mit PDFs meiner Kurzgeschichten anzudrehen. Selbst allerkleinste Verlage müssen von jedem Buch ein Exemplar abliefern. Auch des Internets will man sich annehmen. In §3 des Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek gibt es eine Sammelpflicht für Netzpublikationen, die im Einzelfall jedoch vorher festgestellt werden muß. Dieses Gesetz wurde am 17.10.2008 durch eine Pflichtablieferungsverordnung (PflAV) präzisiert. Genaueres verrät die Webseite der DNB.

Ich bekam zu meinem obigen Anliegen aus der DNB eine erstaunliche Antwort. Nicht etwa, daß ich niemand wäre und daß sonst jeder mit irgendwelchem Literaturimitat ankommen könnte. Denen sind schnöde PDFs ungeachtet des Inhaltes einfach zu popelig! Die wollen das Internet archivieren. Irgendwann wird die Nationalbibliothek alle deutschen Literaturseiten mit einem Crawler erfassen. Ich wäre nun vorgemerkt. Leider wäre der Crawler technisch noch nicht so weit. Erst dann könne geprüft werden, inwieweit für meine Webseiten eine Sammelpflicht bestehe.

Ich habe mich in einer Antwort dazu ausgelassen, warum das Vorhaben z.B. wegen dynamisch generierter Seiten kaum durchführbar sein dürfte. Ich verwies auch auf Archive.org, welche Datenmengen bei solchen Vorhaben anfallen und wie verhunzt und unbrauchbar die “archivierten” Seiten dort aussehen. Mein Vorschlag war, zur Langzeitarchivierung deutscher Literatur-Webseiten das Internet mit ein paar Servern nachzubauen. Die sollen sich den Quelltext aller Literaturseiten geben lassen und die Server nie ausschalten.

Oder nicht doch lieber alles ausdrucken?

06.07.09: Quelltext und die dazugehörende Datenbank?

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Erstellt: 5. Juli 2009 05:09
Geändert: 6. Juli 2009 17:45
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