laut Heiseticker erlaubt das Bundesverfassungsgericht mit seinem heutigen Urteil zu einer Verfassungsbeschwerde Ermittlern Zugriff auf Mails die beim Provider in einer Mailbox lagern.
Die taz berichtet online von einem löchrigen Fernmeldegeheimnis und schreibt, solche Beschlagnahmungen wären (nun) nicht nur bei schweren Straftaten möglich.
Muß man sich sorgen, das BVerfG könnte das Zugangserschwerungsgesetz genehmigen? Ich hoffe nicht.
Ein Blick in das Urteil lohnt. So etwas sollte man sowieso mindestens einmal in Leben gesehen haben, wenn man schon nicht in New York war. Die Entscheidung AZ 2 BvR 902/06 gibt es für nervöse Gemüthe als eingedeutschte Pressemeldung.
Absatz 104 des Volltextes, den ich hier mit zwei Sätzen teilzitiere, läßt mir die Headline der taz ein wenig zu reißerisch erscheinen:
1. Die Annahme, die Schwere der den Beschuldigten vorgeworfenen Taten und die Schwierigkeit der Ermittlungen rechtfertigten einen Zugriff auf die E-Mails des Beschwerdeführers, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Willkürfrei haben die Fachgerichte den Betrugs- und Untreueverdacht im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Beträge von mehreren 100.000 € in ein angemessenes Verhältnis zu den Rechten des an diesen Taten unbeteiligten Beschwerdeführers gesetzt.
Daß der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nicht nur in der digitalen Kommunikation bei berechtigten Interessen der Strafverfolgung eingeschränkt werden kann, wird an anderen Stellen des Urteils mit einem ganzen Paragraphenwald aufgezeigt. Das BVerfG muß darauf vertrauen, daß alles rechtmäßig und verhältnismäßig zugeht. Alles ist durch Bestimmungen geregelt, mit denen Anwälte ihr täglich Brot verdienen dürfen.
Mich beunruhigt dieses Urteil nicht. Unser höchstes Gericht entscheidet im Sinne des Grundgesetzes und macht es sich nicht leicht. Wenn man den Text des Urteiles liest fragt man lediglich, wie es die Mütter und Väter des Grundgesetzes geschafft haben, sich etwas derart komplexes auszudenken. Wie konnten sie bei so vielem was es zu bedenken galt jemals rechtzeitig fertig werden? Mit Lyrik verhält es sich ähnlich, nur denken Lyriker oft gar nichts und schreiben einfach. Sie fühlen. Ich hoffe die Autoren des Grundgesetzes hatten ein tiefes Empfinden für Freiheit. Möge dieses von jenen die ihr Werk interpretieren müssen stets wiedererkannt werden.
Was bleibt zu befürchten?
Vielleicht hätte das Gericht dran denken sollen, daß es sich bei Daten nicht um Papier handelt. Dateien sind nunmal die am leichtesten zu manipulierenden Dokumente und nicht jeder weiß, was ein Timestamp ist. Wie IT-fit sind unsere Polizeibeamte und Ermittlungsbehörden?
Bei der Beschlagnahme einer kompletten Mailbox sind oft Daten unbeteiligter Dritter betroffen. Ob mit denen angemessen umgegangen und der Datenschutz gewahrt wird, kann man nur hoffen.
Allein die aufwendige Begründung aller Statements mit Paragraphen zeigt den Unterschied zum jenem intransparenten Verfahren der geheimen Sperrlisten. Wer von Nannys Liste betroffen ist indem seine Webseite ungerechtfertigt blockiert wird, hat nicht die Möglichkeit juristisch dagegen vorzugehen. Außer für teuer Geld bis zum BVerfG zur klagen. Wenn ich vor einem Stoppschild stehe und wissen möchte was für eine Seite dahinter versteckt sein soll, da ich mich wundere wenn es plötzlich öffentlich zugängliche Kinderpornoseiten geben soll, habe ich nicht die Möglichkeit eine Auskunft einzuklagen ohne selber als pädophil verdächtigt zu werden. So unangenehm es ist wenn eMails beschlagnahmt wurden, sieht da die Rechtslage doch viel besser aus. Ich denke mir, das BVerfG wird den Spuk mit den geheimen Sperrlisten beenden. Eine einstweilige Verfügung wäre nicht schlecht. Weiß jemand, ob das ginge?
Was sagt nun der Bundesdatenschutzbeauftragte zu diesem Urteil?
Der war wie im Volltext erwähnt wird Befürworter der Verfassungsbeschwerde. Leider beschreibt er heute in seinem Blog “nur” einen äußerst lesenswerten Selbstversuch. Peter Schaar hat sich bei Facebook angemeldet um zu sehen, wie es bei sozialen Netzwerken mit dem Datenschutz bestellt ist. Das wäre ein anderes Thema. Trotzdem welcome!
Zu eMails die beim Hoster oder ISP auf dem Server gelagert werden:
Leider verleitet das Internet Message Access Protocol (IMAP) dazu, seine Mails Fremden anzuvertrauen. Dieses Protokoll ist technisch gesehen überflüssig, weil POP3 und SMTP mittlerweile den gleichen Komfort bieten. Gegen Spam taugen beide Verfahren absolut nichts. IMAP ist vielleicht sogar noch verseuchter. IMAP kann man nicht mehr aus der Welt schaffen, trotzdem sollte sich jeder fragen, ob er es wirklich braucht.
Nicht jeder ist ständig irgendwo unterwegs und muß seine Mails jederzeit weltweit abrufen können. Leider wissen technisch unbedarfte Nutzer oft nicht, daß es neben Webmailing noch etwas anderes gibt das auch eMail heißt. Viele wissen nicht was ein mail client (z.B. Thunderbird) ist. Und dann liegen die Mails eben (zu-)griffbereit beim Anbieter des Dienstes auf dem Server rum. Dazu paßt, wie sorglos viele mit ihren Daten in sozialen Netzwerken umgehen. Jeder sollte mal seinen Namen in eine Suchmaschine eingeben. Es gibt natürlich Netzprimaten die beleidigt sind, weil sie zu wenig gefunden werden.
Es geht nicht darum, nichts zu verbergen zu haben. Es geht darum daß heute niemand abschätzen kann, was andere mit seinen Daten anstellen können.
Mir ist es lieber wenn meine Mails auf meinem Rechner archiviert sind. Ich kann sogar welche löschen – obwohl ich nichts zu verbergen habe. Außerdem bekomme ich öfter die Fehlermeldung daß eine Mail nicht zugestellt werden konnte weil die Mailbox voll ist.